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Auch im Ukraine-Krieg gilt: Ohne den geschichtlichen Hintergrund drohen Einseitigkeit, Parteinahme und Verzerrung!

Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Ukraine-Krieg: Die Nato darf jetzt nicht weich werden“ (aus: „Berliner Morgenpost“ vom 03.06.2025)

Für mich gibt es keinen Zweifel daran: Am aktuellen militärischen Geschehen in der Ukraine, das mit dem 24. Februar 2022 seinen Anfang nahm, trägt Russland die ausschlaggebende Verantwortung. Denn hier wurde ohne Not ein brachialer Überfall vom Zaun gebrochen, der in dieser Dimension, Gewaltsamkeit und Vehemenz nicht erforderlich gewesen wäre, um die zweifelsohne berechtigten Interessen von Minderheiten in den verschiedenen Regionen Luhansk, Donezk oder Saporischschja zu wahren. Doch in jedem Konflikt gibt es eine Vorgeschichte, ohne deren Betrachtung rasch Einseitigkeit, Parteinahme und Tendenziösität die Deutungshoheit zu übernehmen drohen. Dieser komplexe historische Zusammenhang wird in der westlichen Berichterstattung allerdings konsequent ausgespart. Aktuell verunglimpfen sogar in einst unabhängigen Medien der Bundesrepublik eifrig die Seiten wechselnde Journalisten Anhänger des rechten Lagers nur deshalb pauschal, weil diese auf eine pseudo-pazifistische Friedensrhetorik abstellten, um gleichzeitig nicht allein die gänzliche Schuld bei Moskau zu suchen. Das Thema spaltet und polarisiert nunmehr in unseren Breiten derart heftig, dass es zwingend erforderlich scheint, mehr als nur eine Perspektive einzunehmen.

Blickt man exemplarisch auf die Geschehnisse des Maidan zurück, so muss doch unmissverständlich klar werden, dass der Westen, allen voran die EU und das transatlantische Miteinander, seit jeher die Strippen zog, um in Kiew auf kurz oder lang willfährige und gutdünkene Machthaber zu installieren, welche auf bewusste Konfrontation und Provokation aus sind, damit einerseits territoriale Ansprüche erhoben, aber insbesondere auch materielle Ressourcen und Bodenschätze aus Richtung Europa reklamiert werden können. Bis 2014 hatten Präsidenten wie zuletzt Wiktor Janukowytsch darum gerungen, der multiethnischen Gesellschaft im Donbass durch möglichst viel Autonomie Zugeständnisse zu unterbreiten, um gleichzeitig die Einheit und Souveränität des gesamten Landes zu wahren. Doch spätestens mit Petro Poroschenko kam der Umschwung hin zu einer Missachtung der Bedürfnisse Moskau zugewandter Bevölkerungsteile, die Wladimir Putin dazu nötigten, die sogenannte „Befreiungsaktion“ zu starten. Dass es ihm dabei auch um Imperialismus und eine Neusortierung des globalen Gefüges ging, lässt sich in fast allen seiner Reden unmissverständlich erahnen. Und trotzdem wäre es deutlich zu kurz gegriffen, bei alledem nur seine Aggression zu betonen.

Denn kann man Vorwürfe aus dem Kreml gänzlich von der Hand weisen, dass spätestens nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Realitäten geschaffen wurden, durch die sich die zerfallene Sowjetunion bedroht und bedrängt gefühlt haben muss? Immer wieder wird es als eine Verschwörungstheorie abgetan, man habe wenigstens mündlich zugesichert, dass es zu einer solchen Entwicklung von Expansion nicht kommen würde. Dabei hatte sich doch Außenminister Genscher zusammen mit seinem amerikanischen Amtskollegen Baker noch am 02.02.1990 in Washington vor der Presse zur Bündnisfrage geäußert: „Wir waren uns einig, dass nicht die Absicht besteht, das NATO-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt übrigens nicht nur in Bezug auf die DDR […], sondern das gilt ganz generell“. Eine Woche später unterstrichen die USA gegenüber Gorbatschow die Richtigkeit dieser Aussage. Es ließe sich gemütlich auf den Standpunkt zurückziehen, dass es nichts Schriftliches gibt, auf dem Konformität fußen könnte. Oder die beiden Politiker gar nicht in der Position gewesen sind, verbindliche Zusagen zu unterbreiten. Das mag im juristischen Sinne vielleicht richtig sein. Trotzdem liegt ein vehementer und ernstlicher Vertrauensbruch vor.

Und man scheint sich zwischen Ural und Sibirien darauf verlassen zu haben, dass es bei einer Pufferzone bleibt, die in der Wirklichkeit allerdings immer schmaler wurde. Hier stauten sich also über mehrere Dekaden Wut, Enttäuschung und Verbitterung an, die zwar keinesfalls rechtfertigen können, mit einem Akt der Willkür Grenzen auf einem Kontinent zu verschieben, der seit jeher hart umstritten ist. Doch zumindest lässt sich der mögliche Gedankengang erklären und nachvollziehen, für den man kein Verständnis aufbringen muss, aber der einen legitimen Anhalt dafür liefert, weshalb dieses Pulverfass explodierte, dessen Folgen auch uns bis ins Mark erschüttern. Nicht nur, dass wir mit einer Welle an Flüchtlingen klarzukommen haben. Viel eher scheffelt eine Regierung nach der nächsten Milliarden an Steuergeldern zu Selenskyj, dem es laut Einlassungen aus dem März 2024 nur noch um Rache geht. Wir selbst sind ganz nebenbei in einer Situation angelangt, acht Jahrzehnte nach dem Ende des Dritten Reiches über Kriegstüchtigkeit zu debattieren, weil sich ein Kanzler Merz in den Kopf gesetzt hat, auf einen möglichen Angriff der Roten Armee 2.0 vorbereitet sein zu wollen. Und das ist nicht nur bizarr, erschreckend oder unvernünftig, sondern vor allem brandgefährlich.