Kommentar von Dennis Riehle
Galt es bis vor noch nicht allzu langer Zeit als eine journalistische Tugend, seine Artikel in einer gewissen rhetorischen Stilistik abzufassen, erlebte auch ich noch zu meinen Berufszeiten einen sich entwickelnden Trend, der durch die immer weitere Neigung des Turms von Pisa dynamisiert wurde. Schließlich waren die Testergebnisse für unsere Schüler mit jedem weiteren Jahr verheerender geworden – und unsere Bildung verwandelte sich auch deshalb zu einer immer größeren Randerscheinung, weil es bestimmten gesellschaftlichen Teilen wichtiger war, dass sich ihre Kinder über die Geschlechtervielfalt und die ihr zugutekommenden Vokabeln aus ens, hen, xier, iks oder sief bewusst werden, statt über die richtige Interpunktion, Grammatik und Rechtschreibung des Deutschen. Und so sank das Lese- und Textverständnis sukzessive – denn auch die vermehrte Nutzung der Sozialen Medien mit ihrer eingeschränkten Zeichenzahl hatte zu einer immer kürzeren Aufmerksamkeitsspanne beigetragen. Der Wortschatz driftete auf ein Minimum ab, weshalb es einigen Mitbürgern offensichtlich immer schwerer fiel, auch nur einen einzigen Satz fehlerfrei zu artikulieren – oder dessen Inhalt zu begreifen. Befeuert wurde diese Entwicklung durch einen Ausverkauf der Wertigkeit einer abgeschlossenen Berufsausbildung. Denn weshalb sollte man unseren Nachkömmlingen eine Qualifizierung als erstrebenswert ans Herz legen, wenn ihnen doch täglich aus dem Deutschen Bundestag suggeriert wird, man könne auch dann zu höheren Vizepräsidenten-Posten befähigt sein, sollte das Highlight der Lebensgeschichte im zweifelsohne ehrenwerten Job der Küchenhilfe liegen? Anstrengung und Leistung scheinen allerdings nicht nur bei den Grünen überbewertet. Sondern es sind die aufflammenden Überreste einer Mentalität der 68er-Bewegung, welche unter Eltern offenbar auch deshalb wieder en vogue ist, weil die Definition der Persönlichkeit nicht mehr an Tatsachen gemessen wird, sondern an Befindlichkeiten.
Entsenden wir also an die nachfolgende Generation die unmissverständliche Botschaft, dass im Zweifel nur das zumutbar bleibt, was mit der inneren Stimme in Einklang gebracht werden kann, untermauern wir eine Philosophie der Bequemlichkeit und Faulheit. Schließlich hängt es dann von der Tagesform ab, ob man sich für Mühe, Plackerei und Knochenarbeit erwärmen kann. Und so berufen sich augenscheinlich immer mehr Menschen auf den Grundsatz der Individualität, der im Zweifel jegliche kollektive Forderung aushebelt – und die Richtschnur an den Interessen der Minderheit orientiert. Denn auch wenn die Tagesschau mit ihrer irrwitzigen Behauptung, 17 Millionen seien auf vorgekaute Schlagzeilen angewiesen, zumindest ein Fünftel der Bevölkerung kurzerhand zu intellektuell Minderbemittelten degradiert, bleiben sie in einer minoritären Position. Sollten sie die Referenz sein, an der die Ausdrucksweise, Komplexität und Beschlagenheit von Meldungen und Überschriften ausgerichtet wird, ist das nicht nur eine Bankrotterklärung mit Blick auf das Allgemeinwissen in einem einst als Land der Dichter und Denker gewürdigten Gefüge. Stattdessen senken wir die Latte immer weiter ab, um dem sozialistischen Anspruch an die Gleichheit aller Dummen gerecht zu werden. Böse Zungen könnten behaupten, dass sich im Hamburger Sendehaus wieder einmal die Regierung durchgesetzt habe, die aus Eigennützigkeit auf die Verblödung der Untertanen setzt. Denn je einfältiger sie sind, umso leichter lassen sich ihnen die widersinnigsten Entscheidungen eines Kartells verklickern, dessen Machtanspruch nur dann wackelt, wenn der Souverän zu denken beginnt. Soll also mit den neuen Standards für eine übertrieben niederschwellige Vermittlung von Informationen die geistige Degeneration des Gros katalysiert werden? Blickt man in die Geschichte, waren es meistens doch eher die klügeren Gestalten, die die Herrschenden zu Fall brachten.
Dass die Maßstäbe auf Kindergartenlevel verlagert werden, hängt jedoch auch mit der Pluralisierung eines Verbundes zusammen, welcher es sehenden Auges zulässt, dass nur noch ein von 30 Erstklässlern die geltende Amtssprache zumindest ansatzweise beherrscht. Auch wenn man an der kapitalistischen Denkweise des Höher, Weiter, Schneller durchaus Kritik anbringen kann, so ist es doch ein Armutszeugnis, wenn die Erwartungshaltung langsam aber sicher gegen null geht. Knüpfen wir unser Verlangen nicht an der edukativen Qualität von Robert Habeck oder Annalena Baerbock, bei denen generell nicht die Wirtschaft lahmt, sondern lediglich die Zahlen – oder die noch immer auf dem Globus nach all den entlegenen Staaten in 100.000 Kilometer Entfernung suchen. Das kommunistische Modell des Einheitsbreis, dem nicht nur mit dem Postulat von weniger Hausaufgaben, einem Wegfall von Noten oder einer Abschaffung des dreigliedrigen Schulwesens alle Ehre gemacht wird, hat sich in der Praxis insofern nicht bewährt, als dass die Einebnung zu besseren Chancen für die eher Schwachen beiträgt. Viel eher sehen wir in einem System, das den Erfolg, das Ziel und die Motivation nicht mehr an die oberste Stelle setzt, wie diejenigen in ihrer Entfaltung gebremst werden, die sich gegenüber dem Rest eher als die Stärkeren herausstellen. Nimmt man jedoch ihnen die Möglichkeiten zur Profilierung, fehlt es am Schluss an jeglicher Elite. Inklusion ist eben keine Einbahnstraße, auf der ausschließlich die Spitze Rücksicht nimmt auf die Schlusslichter – und bei Bedarf die Geschwindigkeit so sehr drosselt, dass in der ungünstigsten Konstellation der gesamte Tross zum Erliegen kommt. Sofern nun also das einstige Flaggschiff der deutschen Nachrichtensendungen seinen Bezugspunkt für die kultivierte Unterredung der Zuschauer auf eine Ebene herabsenkt, die im internationalen Vergleich Schrottniveau entspricht, dann fügt sich auch diese Preisgabe in das Gesamtbild ein, wonach wir möglicherweise gewollt auf die rote Laterne aus sind. Schließlich lügt eine Politik dort ungenierter, wo es der Marionette an Potenzial für deren Entlarvung mangelt.