Kommentar von Dennis Riehle
Einsichtsfähigkeit ist eine Tugend – und sie ist nicht jedem gegeben. Viele von uns befinden sich im Laufe des Lebens hin und wieder auf einem Holzweg, weil wir uns in einer Meinung richtig wähnen, die allerdings mit einem außenstehenden und distanzierten Blick manches Mal weniger solide, plausibel und nachvollziehbar erscheint. Gerade, wenn sich der Mensch in eine bestimmte Auffassung versteigt, die er nicht etwa aus pragmatischen Gründen vertritt, sondern aufgrund von verkopften und ideologischen Scheuklappen, scheint es oftmals schwierig, ihn von der Widersinnigkeit seines Denkens zu überzeugen. Sobald wir unsere Nüchternheit und Freiheit verlassen – und uns stattdessen einem Konzept, einer Idee oder einem Gerüst aus Fiktion, Utopie und Wunschtraum zuwenden, schaltet sich die Rationalität in unserem Gehirn ab. Heraus kommt nicht selten eine zutiefst ausgrenzende, feindselige und böswillige Ablehnung des Anderen, den man kaum noch an seinen Argumenten und Inhalten zu messen bereit ist. Sondern ihn aus Prinzip in eine vorgefertigte Ecke stellt, die man in einer Schattierung aus Schwarz und Weiß kurzerhand als das Böse deklariert. Und so ist es auch eine Mentalität der Gegenwart, sich politisch nicht mehr zwingend auf der Sachebene zu begegnen. Viel eher verschließt man sich in einer eigentümlichen Natürlichkeit und generellen Voreingenommenheit, Tendenziösität und Abgeschlossenheit jedwedem Dialog – um den Gegner bedarfsweise mit Mitteln der Repression, Gängelung und Tyrannei zu gesellschaftlichem und öffentlichem Freiwild zu erklären. Hiervon können aktuell die Anhänger, Befürworter, Mitglieder, Funktionäre und Mandatsträger der AfD ein Lied singen. Sie werden kurzerhand von der linken Seite als dumm, minderwertig und extremistisch abgestempelt – und im Beruf, in der Nachbarschaft, im Freundeskreis, in Vereinen oder sogar in der Familie separiert. Dass ein derartiges Manöver der Diffamierung auf perspektivische Sicht zu einem Bumerang werden kann, erleben aktuell die Grünen in den Umfragen. Sie kratzen in einigen Statistiken an der Einstelligkeit – und verfügen eben nicht über die Größe, eine kritische und skeptische Analyse von sich selbst zu vorzunehmen.
Stattdessen schaufelt sich eine Partei ihr eigenes Grab, die noch immer darauf hofft, dass die Beerdigung die Alternative für Deutschland treffen möge. Und so buddelt sie sich mit immer neuen Instrumenten aus dem totalitären Werkzeugkasten in die Tiefe – und hält die Fahne als Verteidiger der Demokratie weiterhin hoch, obwohl das Wasser teilweise schon höher steht als bis zum Hals. Ihre Jugend schafft es nicht über die wortgewaltige Denunziation von allen Mitbürgern hinaus, welche ihr Kreuz weiter rechts als bei der SPD setzen – und schmeißt mit Vokabeln wie Faschisten, Nazis oder Rassisten um sich, obwohl sie im Zweifel nicht einmal dazu in der Lage wäre, derartige Begrifflichkeiten auch nur ansatzweise in historische Zusammenhänge einzuordnen und sie zu definieren. Während also die Gefahr für die Souveränität unserer Republik zunehmend von fanatisierten Islamisten ausgeht, die kaum noch eine Gelegenheit auslassen, ihr Repertoire an Messern zum Gassigehen auszuführen, singt man im Chor mit der Innenministerin von der Bedrohung der Volksherrschaft durch diejenigen, die Stolz auf ihre Heimat, Selbstbewusstsein hinsichtlich ihrer Integrität und ein Ehrgefühl gegenüber der eigenen Kultur empfinden. Nahezu stündlich packt man einen weiteren Stein auf eine Mauer, mit der man sich allerdings nicht nur von den Blauen abschottet, sondern auch von der Realität der Masse und ihren tatsächlichen Sorgen und Nöten. Dass mittlerweile jeder Versuch der Schikane des vermeintlichen Feindes zum Rohrkrepierer, Eigentor und Bärendienst wird, mögen die nicht erfassen, welche sich nach außen hin mit viel Make-up und Stöckelschuhen ihre verkorkste Lebensbiografie schönreden – obwohl sie in ihrem Unterbewusstsein eine nachvollziehbare Frustration über ihre bisherige Leistungsbilanz verspüren. Doch wer gibt schon gerne sein eigenes Scheitern und Versagen zu, wenn er sich in einer Machtposition befindet, in der er das als Vorschusslorbeeren alle vier Jahre ausgesprochene Vertrauen des Volkes nach Belieben schamlos missbrauchen kann?
Eine in der jüngeren Geschichte beispiellose Zweckentfremdung des repräsentativen Systems für das obsessive Verwirklichen eines auf dem Reißbrett entworfenen Plans zum vielfältigen Miteinander in ökologischer Autarkie, bunter Identität, wirtschaftlicher Zwänge, missionarischer Besserwisserei, veganer Nächstenliebe, energetischer Idiotie und sittenloser Geschlechterlosigkeit beweist nicht nur die Dreistigkeit und Unverfrorenheit einer nach Absolutheit strebenden Spezies, der es seit Anfang an nicht um die Einhaltung ihres geschworenen Eides ging – sondern vor allem um Vorteile, Lobbyismus, Diäten, Einfluss und Rampenlicht. Dass der anfängliche Hoffnungsschimmer einiger Wähler, die sich in einem lagerübergreifenden Bündnis namens Ampel nach 16 Jahren Merkel eine Veränderung erwarteten, bereits nach den ersten Wochen wieder am Horizont verschwand, führte letztendlich nicht nur in einen weiteren Kontrollverlust über die Ordnung in unseren Breiten. Sondern auch zu einer exemplarischen Spaltung und Polarisierung des Miteinanders, in der sich ein Kartell von CDU bis Linken nicht zu schade dafür ist, das eigene Profil bis zur Unendlichkeit zu verwässern, um sich später einmal dafür auf die Schulter klopfen zu können, eine Wiederholung von 1933 verhindert zu haben – als Kollateralschaden ihrer Paranoia allerdings ein ganzes Gefüge an die Wand fuhren. Dieses wird sich nur dann von der Peinigung erholen, wenn es aus dem Wahn und Korsett des subtilen Kampfes gegen die Untertanen befreit wird. Solange das Fass nur überläuft und noch nicht explodiert, lässt sich die Trendumkehr durch die Abgabe von Stimmzetteln an der Urne einläuten. Glücklicherweise manifestiert sich ein immer offener zutage tretender Patriotismus, der losgelöst ist von jeglicher Kontaktscham und Kollektivschuld. Denn auch wenn wir von einer gewissen Lethargie befallen sind, so kann sich der Deutsche aus seinem Dornröschenschlaf aufrappeln, wenn es um seine Existenz, Unversehrtheit und Zukunft geht. Deshalb sollte es uns ohne Frage eine Mahnung sein, dass die Zeiger kurz vor Zwölf stehen. Aber eine Wende zumindest dann noch vollzogen werden kann, wenn ein Minimalkonsens an Zusammengehörigkeit dem Spektakel unter dem Regenbogen ein Ende setzt.