Kommentar von Dennis Riehle
Es ist die Bankrotterklärung vor jeglicher Ethik und Normativität, zugleich der Triumph von Emanzipation und Feminismus: Nachdem in Frankreich der grundsätzliche Anspruch auf Abtreibung in die Verfassung aufgenommen wurde, wird auch in Deutschland darüber diskutiert, inwieweit der Schwangerschaftsabbruch entkriminalisiert und möglichst ohne allzu viele Hürden legalisiert werden könnte. Die Ampel hatte sich eine Überprüfung von § 218 StGB vorgenommen. Und insbesondere der demokratiefördernden Bundesfamilienministerin Paus scheint es ein besonderes Anliegen zu sein, dass die werdenden Mütter künftig zum künstlich herbeigeführten Abort auf Händen getragen werden. Was die Einen als Ausdruck der Selbstbestimmung der Frau über ihren eigenen Körper feiern, das stellen diejenigen in Zweifel, die in einem Rechtsstaat das Prinzip der Abwägung von widerstreitenden Interessen hochhalten. Denn es geht in dieser Konstellation eben nicht nur darum, was diejenige Person möchte, von der man in einer zivilisierten und aufgeklärten Zivilisation eigentlich erwarten könnte, dass sie sich bereits im Biologieunterricht oder spätestens vor dem Geschlechtsakt über die möglichen Folgen des Beischlafs und die eigene Familienplanung bewusst wird, um im Zweifel notwendige und mittlerweile in unseren Breiten umfänglich zur Verfügung stehende Mittel zur Kontrazeption zu nutzen – oder sich ersatzweise in Enthaltsamkeit zu üben.
Denn es ist ein Ausdruck von Anarchie, wenn wir die Freiheit des Individuums ins Absurde treiben, indem wir ausschließlich die Perspektive derjenigen einnehmen, die in einer sexualisierten Gesellschaft allein auf den eigenen Spaß, den Seitensprung oder das Gerechtwerden von Trieben und Begierden bedacht sind – ohne aber auch die Sichtweise zu berücksichtigen, die ein heranwachsender Mensch hat, welchem mit einer induzierten Interruptio Graviditatis die Chance auf das Erblicken des Lichts der Welt genommen wird. In unserem Verständnis der Demokratie gibt es nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Und dazu gehört ein verantwortungsvoller Umgang mit diesem Geschenk des Lebens. Was in einer verrohten und abgestumpften Sprache mit dem „Wegmachen eines Zellklumpens“ beschrieben wird, das ist unter moralischer Betrachtung einer der schwersten Eingriffe in Schöpfung und Evolution. Und es bleibt in einer Zeit des transhumanistischen Gebarens und der nahezu unendlichen Möglichkeiten auch weiterhin eine sittliche Grenzlinie, nur deshalb auf das Werkzeug der Abortion zurückzugreifen, weil wir im Zweifel zu bequemlich sind, Maßnahmen zur Verhütung und zur Verhinderung dieser immer wieder fälschlicherweise als ungewollte Schwangerschaften bezeichneten Empfängnis zu unternehmen. Natürlich gibt es seltene Konstellationen des gewaltsamen Sexualverkehrs oder eines „Unfalls“ in der Geburtenkontrolle. Aber diese können nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass es in der Mehrheit der vorgenommenen Eingriffe um eine induzierte Abtreibung nach einer willentlich durchgeführten und der Prävention zugänglichen Kohabitation geht.
Statt ständig um die Frage zu kreisen, wie wir die Versorgungsangebote für mich ihrem Seitensprung hadernden Frauen verbessern oder den Zugang zum Abbruch erleichtern können, wäre beispielsweise eine Edukation in unseren Schulen und eine Sensibilisierung der Elternschaft, die Förderung der Ergebnisoffenheit von Beratungsgesprächen, die Implementierung einer Mentalität des Lebensschutzes und der Würdigung der Nachkommenschaft als Ausdruck von Zukunft und Zuversicht in den Köpfen unseres Landes, vermehrte Information über die zahlreichen finanziellen, materiellen und persönlichen Unterstützungsmöglichkeiten für werdende Familien, ein Abbau des Narrativs über den Karrierekiller Kind und ein Appell an das Gewissen einer auf Antiautoritarismus getrimmten Spezies notwendig, die in ihrer Erziehung zu viel Laissez-Faire erfahren hat. Denn in einer regelbasierten Gemeinschaft ist es nicht nur selbstverständlich, sondern geboten, dem Gedanken eines grenzenlosen Ichseins ein puritanisches Limit zu setzen. Ein Miteinander kann dort nicht funktionieren, wo einseitige Bedürfnisse kollektive Wertemaßstäbe außer Kraft setzen können. Wer bei Bedarf alles durchgehen lässt, ist eben nur nicht nur undicht – sondern hat Tugend und Haltung verloren. Dass dies in einem von Großzügigkeit durchdrungenen Zeitgeist am Ende zu Chaos, Beliebigkeit und Willkür führen kann, erleben wir auch in anderen Bereichen des täglichen Daseins. Popper beschrieb das Toleranz-Paradoxon als Untergang der Nachsichtigen gegenüber denen, die die Akzeptanz für ihre eigenen Zwecke missbrauchend gegen die Sanftmütigen einsetzen. Und so geschieht es leider immer häufiger.