Kommentar von Dennis Riehle
Als ich mich entschloss, eine journalistische Ausbildung anzustreben, da war mir durchaus bewusst, dass der spätere Job kein Zuckerschlecken wird. Auch wenn manch eine Vorstellung in der Gesellschaft wohl davon ausgeht, dass unsere Zunft gemütlich vor dem Laptop sitzt und ohne allzu viel Hektik und Stress Buchstaben auf Papier bringt, ist insbesondere die Recherche und das Überprüfen von Informationen eine überaus anspruchsvolle Aufgabe – die ich aber auch deshalb gerne in Kauf nehmen wollte, weil es mir in meiner Kindheit bereits ein Anliegen gewesen ist, nicht unbedingt auf das zu vertrauen, was die Mitschüler über Andere in die Welt gesetzt haben. Das Verlassen auf ein Hörensagen, das nicht selten im Einklang mit Vorurteilen und Subjektivität steht, war für mich stets ein No-Go. Und so kam ich in Berufszeiten manches Mal ins Schwitzen, wenn wieder einmal der Redaktionsschluss vor der Tür stand – mein Text aber wegen der umfangreichen Suche nach seriösen Quellen viel Zeit einforderte. Was sich heute manch ein Politiker als Unterrichtsfach wünscht, das erforderte die publizistische Tätigkeit in einer gewissen autodidaktischen Aneignung. Medienkompetenz bedeutet letztendlich auch, ein gewisses Gespür dafür zu entwickeln, wie glaubwürdig eine Nachricht ist, welche über die Ticker geht – und bei der ein Presseschaffender mit einem Rest an Kritik, Skepsis und Zurückhaltung zunächst einmal die Nase rümpft. Kann das also wirklich sein, was an dargestellten Fakten und Wahrheiten verbreitet und uns als Arbeitsgrundlage zur Verfügung gestellt wird? Als ich zum ersten Mal die Meldung las, es habe in der Nähe von Potsdam ein Geheimtreffen von Vertretern der AfD und Funktionären wie Ulrich Siegmund, der WerteUnion, der Identitären Bewegung mit dem österreichischen Aktivisten Martin Sellner und der Wirtschaft gegeben, bei dem man sich auf die Deportation von Millionen Bundesbürgern mit Migrationshintergrund verständigte, musste ich zunächst einmal auf den Kalender blicken.
Nein, es war nicht der 1. April. Und doch prusteten einst als Garanten für Seriosität und Objektivität geltende Absender eine Schlagzeile in die Welt, bei der eigentlich jeder verstandsmäßige Mensch zunächst einmal Argwohn und Zweifel hegen muss. Dass dies aber beispielsweise weder die „Tagesschau“ noch andere Institutionen des hiesigen Sender- und Blätterwaldes taten, rächt sich aktuell schmerzhaft. Denn da hat das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg untersagt, noch einmal die Behauptung aufzustellen, bei dieser Zusammenkunft am Lehnitzsee sei die Ausweisung von hiesigen Staatsangehörigen debattiert worden. Offenbar scheinen die Richter über etwas mehr Sensibilität in der Bewertung von Umständen zu verfügen, bei dessen Bekanntwerden es Nachforschungen gebraucht hätte. Und dies gilt insbesondere unter dem Maßstab, dass die ursprüngliche Berichterstattung aus einem mehr als anrüchigen Recherchezentrum stammte, das vom Bund mit einer großzügigen Förderung bedacht wird – und nicht zum ersten Mal mit der Justiz in Konflikt geriet. „Correctiv“ sieht sich als ein Sammelbecken von Investigativen, die mir schon seit vielen Jahren ein Rätsel sind. Sie jagen täglich vermeintlichen Skandalen hinterher – die sie entweder dramatisch aufbauschen müssen, um nur irgendeine Aufmerksamkeit erwecken zu können. Oder man saugt sich gänzlich Märchen und Geschichten aus den Fingern, weil nun einmal nicht ständig Affären am Horizont auftauchen, deren Bedeutung über den bekanntlichen Reissack hinausgehen. Dass im Gebaren möglicherweise die Regierung selbst und auch der Verfassungsschutz mehr oder weniger aktiv eine Rolle spielten, erhöht die Brisanz des Falls. Denn es sind die als Ethos und Standard an die Hand gegebenen Grundsätze für jeden in der Öffentlichkeit Tätigen, die es ausdrücklich untersagen, mit unlauteren Mitteln und auf dubiosen Wegen erlangtes Material zu verwerten.
Wer aus dem Konzept der Remigration eine Ambition ableitet, nicht nur negativ beschiedene Asylbewerber, Personen ohne Aufenthaltsberechtigung und ihren Gaststatus aus unterschiedlichen Gründen verwirkt habenden Flüchtlingen rückzuführen, der muss in einer böswilligen Absicht handeln. Und genau diese Tatsache ist einer der frustrierenden Gründe, warum ich mich heute für meine Branche schäme, in der die Mehrheit der Kollegen nicht erst seit gestern jegliche Integrität und Souveränität aufgegeben haben. Sie biedern sich derart an die herrschende Klasse an, dass sie im Zweifel als Propagandisten sogar bereit dazu sind, ohne Hemmnis Lügen unter das Volk zu bringen. Wer sich als Sprachrohr der Ampel betätigen will, der hätte eine Qualifikation im Bereich der PR anstreben sollen. Denn niemand braucht unter dem Deckmantel von Sorgfalt, Aufrichtigkeit und Echtheit wirkende Mistkratzer, die dem Establishment nach dem Mund reden. Stattdessen fehlt es uns an Leuchttürmen, die die Aufgabe, den Zweck und das Ziel der vierten Gewalt in einer Demokratie verinnerlicht haben. Diese umfassen vor allem die größtmögliche Distanz, das ständige Hinterfragen und die fundamentale Opposition zu allen Mächtigen. Wem es also zu kompliziert, aufwendig und mühsam ist, gegen den Strom zu schwimmen, der möge sich bitte noch einmal überlegen, ob er nicht vielleicht doch ins Kanzleramt oder eines der Ministerien wechselt. Dass der Rollentausch heutzutage nahezu von einer Minute auf die andere denkbar ist, das beweisen Beispiele wie das von Steffen Seibert, der kurzerhand den damals für noch etwas mehr Unabhängigkeit stehenden ÖRR verließ, um das Wirken des Kabinetts Merkel schönzureden. Es ist das fehlende Rückgrat und die Courage, sich vom Reiz der Karriere, des Einflusses und der Mitsprache nicht beugen zu lassen, welches heute uns allen Kommentatoren und Kolumnisten nur allzu nachvollziehbar einen verheerenden Ruf einbringt. Möge es in diesem Einheitsbrei manch ein zur Besinnung kommender Redakteur schaffen, die Sehnsucht nach Rampenlicht dem Gewissen unterzuordnen.