Kommentar von Dennis Riehle
Rationalität ist in Zeiten des gesellschaftlichen Irrwitzes selten geworden. Und so sehnt man sich nach Entscheidungen von höherer Stelle, die dem Vernünftigen bescheinigen, dass er mit seiner konservativen Art nicht falsch liegt – sondern das Bewahren von Funktionierendem, Gewohnten und Erfolgreichem als eine sehr begrüßenswerte und bedachte Kontinuität gesehen werden kann. Dieser Mentalität der oftmals despektierlich konnotierten Rückwärtsgewandtheit hing anscheinend auch der Sportgerichtshof an, der nunmehr eine Klage zurückwies, mit der eine Trans-Schwimmerin die Änderung bestehender Regularien anstrebte, um künftig an ebenbürtig an Frauenwettbewerben teilnehmen zu können. Und so ist es ein Hoffnungsschimmer in der von Unbestimmtheit geprägten Epoche, dass wir uns als Verbund nicht auf den Betrug einlassen, uns einen Mann als Frau verkaufen zu wollen – und umgekehrt. Eine Gruppe kommt nicht ohne Konformität aus. Schließlich braucht es verbindliche Orientierungspunkte, die als Konsens unerschütterlich sind – und auf die man sich jederzeit verlassen können muss. Da es in unserer Zivilisation offenbar unterschiedliche Vorstellungen davon gibt, wie festgezurrt eine geschlechtliche Zuordnung ist, braucht es den für die Demokratie typischen Maßstab der Mehrheitsentscheidung, um Klarheit herzustellen. Und blickt man auf die immer wieder durchgeführten Umfragen, wie es die Deutschen mit dem Genderismus halten, so bleibt das Votum stabil. Das Rahmengerüst der Binarität hat sich eben nicht überdauert, sondern wird von einer eklatanten Zahl an Bürgern auch weiterhin als der unverrückbare Fels in der Brandung gesehen. Schließlich ist er nicht menschengemacht – und damit subjektiv, sondern von der Evolution vorgegeben. Dass mittlerweile auch die Biologie als tendenziöse Wissenschaft nicht mehr darauf beharrt, dass die eindeutige Kategorisierung der sexuellen Identität bereits mit der Geburt in fast allen Fallkonstellationen abgeschlossen und indiskutabel ist, erweist sich als ein Kniefall vor der mit der ständigen Moralkeule der Diskriminierung fuchtelnden LGBTIQ-Bewegung.
Ihr geht es nicht um die Einhaltung von Gleichberechtigung und Persönlichkeitsrechten. Stattdessen will sie den singulären Willen höher gewichten als den gemeinschaftlichen Wunsch. Sie möchte den Vertrag über die Natürlichkeit des Menschen kurzerhand aufkündigen – weil sie die Ansprüche der Individualität über die Erwartungen der Kollektivität stellt. Weichen wir die Grenzen dessen auf, was durch die Schöpfung nicht ohne Grund mit Prinzipien versehen wurde, sind Missbrauch, Instrumentalisierung und Zweckentfremdung von Freiheiten vorprogrammiert – die auch in einem liberalen Miteinander an ein Limit stoßen, sobald sich die Bedürfnisse der Allgemeinheit der Profilneurose von Wenigen unterordnen sollen. Bisweilen erinnert die Trotzigkeit manch eines queeren Zeitgenossen an das bockige Verhalten eines Kindes, das im Sandkasten mit den Förmchen um sich wirft – wenn es nicht das bekommt, was es sich in den Kopf gesetzt hat. Ohne Zweifel steht es uns offen, eine Scheinwelt zu konstruieren, in der sich jeder nach Lust und Laune in die verschiedensten Wesenseinheiten verwandeln kann. Ob man sich nun als Eichhörnchen, Nachttischlampe oder Salatgurke versteht, ist so lange ohne einen Belang, wie man diesen Fetischismus im Privaten auslebt. Dass der Normalsterblichkeit einen gewissen Argwohn gegenüber solchen Wendehälsen hegt und an der psychischen Integrität von Personen zweifelt, die sich in der regelmäßigen Verdinglichung ihres Selbst üben, darf man niemandem übel nehmen, der mit sich in einer Authentizität, Deckungsgleichheit und Echtheit steht. Die Annahme der inhärenten Charakterlichkeit und Persönlichkeitsmerkmale ist durchaus eine Aufgabe, die auch über die Pubertät hinausgehen kann. Wer allerdings bis ins hohe Alter auf dem Meer der generellen Vielfalt schippert – und nie in einem Hafen ankommt, in dem er vor Anker gehen und Heimat finden kann, wird weder das Empfinden eines Seelenfriedens in sich tragen, noch die Erfahrung von Vollständigkeit verspüren.
Dass sich diejenigen unter uns der Ressentiments, Berührungsängste und Vorurteile sicher sein müssen, die ihre Pronomen schneller wechseln als jedes Chamäleon seine Farbe, vermag wohl diejenigen nicht von ihrem Weg abzubringen, die sich vor Determiniertheit drücken – und stattdessen auf Provokation, Konfrontation und Diskussion über die Begriffsbestimmung und Deutungshoheit des Maskulinums und Femininums setzen. Doch man muss sich nicht auf jede Debatte einlassen, in der es letztendlich um das Erreichen von ethischen Dammbrüchen geht. Denn um nichts Anderes handelt es sich bei dem Versuch, die gottgegebenen Pläne über die Unmissverständlichkeit von Gattungen und ihrer Schattierungen über den Haufen zu werfen – und dieser höherinstanzlichen Entscheidung über die Typen und Genres einer Einheit ein Schnippchen zu schlagen. Die Mentalität der zunehmenden Ideologisierung von Gefühlen, Befindlichkeiten und Animositäten konnte sich auch deshalb ungehindert vermehren, weil wir der Autarkie mehr Platz eingeräumt haben als der Heteronomie. Um ein Minimum an Bindungskraft von Konventionen gewährleisten zu können, bedarf es der majoritären Übereinkünfte, auf die wir uns berufen können – und die die Richtschnur sind für ein Gefüge, das an seiner Toleranztrunkenheit zu ersticken droht. Es kann uns nicht abverlangt werden, vor sämtlichen Traumfantasien einer desillusionierten Generation in die Knie zu gehen, die auch deshalb vor einer Fixierung der eigenen Entität zurückschreckt, weil sie damit in der Wahrheit und Realität einer leistungsbasierten Sozietät ankommt, die sich ein Lotterleben von Utopisten nicht leisten kann. Wer Anstand, Schicklichkeit und Dehors einer Clique herausfordern möchte, sollte dies in seiner Community tun, welche sich wechselseitig in ihrem Beklagen von Benachteiligung durch die Masse bestärkt. Das Dasein in einer Parallelität verunmöglicht alle Integration. Und so wird sich ein Nebeneinander wohl auch künftig verfestigen, in dem beide Seiten Unverständnis über den Anderen zum Ausdruck bringen. Das Gros darf sich aber nicht länger nötigen lassen – und sollte die Wehklage über die vermeintliche Separierung einer theatralischen Randgruppe nicht überbewerten.