Kommentar von Dennis Riehle
Die jetzigen Zeiten erlauben es nicht, die Hände in den Schoß zu legen und dabei zuzusehen, wie dieses Land nach und nach den Bach nicht rauf, sondern schnurstracks runter geht. Es brauchte nicht einmal eine Hausdurchsuchung wegen eines Werturteils über den Wirtschaftsminister, um sich klar darüber zu werden: In dieser Republik läuft etwas gewaltig schief! Da kann man beispielsweise bis ins Jahr 2015 zurückgehen, als Angela Merkel mit ihrem Tabubruch und den geöffneten Scheunentoren für den Zustrom auch derjenigen Migranten sorgte, die nach den geltenden Regeln keinerlei Anspruch auf Schutz und Obdach haben.
Seit diesem Moment wissen wir, dass Paragrafen im Zweifel nur noch Schall und Rauch sind. Denn auch während der Pandemie hat man sie kurzerhand außer Kraft gesetzt, um die Grundrechte der Menschen zu beschneiden – und in einem Testlabor zu prüfen, wieviel sich der einzelne und die Gesellschaft an Freiheiten nehmen lassen, ehe sie zu rebellieren beginnen. Und weil es bei uns Deutschen doch sehr lange braucht, bis wir endlich aus unserem Dornröschenschlaf erwachen, ließen viele Corona und all die Maßnahmen der Politik einigermaßen gelähmt über sich ergehen. Ganz offen degradierte man uns zu Versuchskaninchen – und mutete später vom Heizungs- bis zum Selbstbestimmungsgesetz eine Bevormundung nach der nächsten zu.
Mittlerweile wissen wir nicht mehr, wie wir unser Gegenüber im Zweifel korrekt anzusprechen haben, wenn die Auswahl zwischen Herr, Frau, divers, Pinguin, Gartenzwerg oder Blumenkohl zahlreiche Möglichkeiten erlaubt, das Geschlecht nach Belieben und minütlich zu ändern. Zwar will uns auf den ersten Anschein niemand zu einer Wärmepumpe verpflichten. Doch was bleibt an Technologie übrig, wenn schon jetzt damit begonnen wird, Gasnetze zurückzubauen? Die auf dem Reißbrett entworfene Transformation ist ein milliardenschweres Geschäft für die Erneuerbaren-Industrie. Am Klima wird sie auch deshalb wenig rütteln, weil Petrus schon über Adam und Eva Gewitterstürme niedergehen ließ – und ihnen die ein oder andere Hitzewallung bescherte.
Solange sich ein Miteinander von einem wissenschaftlichen Narrativ irritieren lässt, welches normalerweise nicht einmal den simpelsten physikalischen Einsprüchen standhalten kann, sind wir Moralisierung, Gängelung und Willkür ausgeliefert. Wir bleiben empfänglich für die Märchenerzählung, dass unsere Verfassung die Aufnahme jedes Schicksalsgeplagten gebiete. Doch in keiner einschlägigen Normierung findet sich das Staatsziel der völligen Preisgabe von Kultur, Identität und Souveränität. Während der Terminus des Volkes gleich an sieben Stellen auftaucht, suchen wir nach Multikulturalismus, Vielfalt und Toleranz vergeblich. Stattdessen sind wir zur Versöhnung angehalten – ob nun innerhalb oder außerhalb des Gefüges. Sie erreicht man nicht dadurch, dass man das Mitführen von Messern des Nachts untersagt – und mit hilflosen Hinweisschildern darum bittet, Gruppenvergewaltigungen in die Mittagsstunden zu verschieben.
Wir werden möglicherweise zu dem einigermaßen grotesken Befund gelangen, dass wir mit Olaf Scholz noch Glück gehabt haben. Denn lauscht man der Rhetorik von Friedrich Merz, so schwingt dort mehr als nur Kriegstüchtigkeit mit. Samt seiner Überheblichkeit gegenüber dem Kreml könnte der vermutlich nächste Bundeskanzler für unruhige militärische Jahre sorgen. Mit Arroganz und Blasiertheit bestückt, scheint sich der Sauerländer mit seinem Programm bereits heute zu verheben, ehe er in Amt und Würden gekommen ist. Aber was hilft nun gegen all diese Entwicklungen, die darauf ausgerichtet sind, uns schweren Schaden zuzufügen?
Nein, auch die AfD ist kein Allheilmittel. Und sie zeigt an manchen Stellen, dass sie nach einer Dekade ebenfalls abgestumpft ist – und im Kreis der Etablierten Platz genommen hat. Nur dann, wenn es ihr gelingt, Bürgernähe zu zeigen, Eigenverliebtheit zu relativieren und Ethos vor Karriere zu stellen, wird sie auch nachhaltig zu einer Alternative auf dem Stimmzettel. Im Augenblick fischt sie fast ausschließlich in ihrem Dunstkreis – und verlässt die Blase kaum, in der man vor Hochnäsigkeit nicht bewahrt bleibt. Überzeugende Antworten brauchen nahbare Transporteure, um in der Breite anzukommen. Ich bekenne mich zu meinem politisch blauen Herzen. Aber allein der Umstand, dass die Partei im Augenblick die einzig namhafte Opposition darstellt, verhilft ihr keinesfalls zu einem Blankoscheck. Vernunft und Ebenbürtigkeit sind die zwei unerlässlichen Tugenden, um langfristig Fuß zu fassen und Vertrauen aufbauen zu können. Beides wünsche ich mir – und bleibe trotzdem ein Realist.