Kommentar von Dennis Riehle
Ich gebe zu: Auch an Journalisten gehen Dinge vorbei. Denn selbst wenn man mit der Zeit zu einem Informationsjunkie wird, der sämtliche Nachrichten des Tages in sich aufzusaugen bemüht ist, wird man manch eine Schlagzeile verpassen. Und so muss ich offenbar nicht mitbekommen haben, dass das Parlament in einer verfassungsgebenden Abstimmung kurzerhand Art. 22 GG geändert hat, in dem es heißt: „Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold“. Denn schließlich finden wir vor vielen unserer öffentlichen Gebäude mittlerweile sämtliche Formen und Farben, aber eben nicht die gültigen. Ob nun das ukrainische Blau-Gelb, der europäische Sternenkreis oder der Regenbogen: Nicht einmal bei der Europameisterschaft wollte sich die Regierung daran erinnern, dass die Demokratie nach dem Konzept der Mehrheitsentscheidung aufgebaut ist – und nicht dem Befehl einzelner Nischengruppen zu gehorchen hat. Zweifelsohne kann man darauf verzichten, in der gleichen Provokation und Konfrontation zu handeln wie die Ideologen – und es so weit treiben wie aktuell ein Nationalratskandidat der FPÖ in Österreich, der das Symbol der LGBTIQ-Bewegung in die Tonne trat. Dennoch habe ich für den dahinterstehenden Gedanken viel Sympathie, sich nicht länger von der Mentalität des Gutdünkens gängeln zu lassen. Und das sage ich ausdrücklich als Schwuler, der ungefähr genauso queer ist wie das Stück Fleisch in meinem Kühlschrank vegan – auch wenn es sich nur zeitweise als Trans-Rinderhüftsteak definiert.
Die Unterwerfung gegenüber einer ständig die Moralkeule der Diskriminierung schwingenden Bevölkerungskohorte, die im Zweifel ihr Leben lang auf der Suche nach innerer Kongruenz über den Ozean der Vielfalt schippert – und schon allein deshalb nie in einem Hafen des Seelenfriedens vor Anker gehen wird, weil sie die Festlegung auf eine Nämlichkeit ebenso scheut wie der Teufel das Weihwasser, ist ein Ausdruck von Schwäche des Staates und der Gesellschaft. Eine Gesinnung, die sich heutzutage auf dem einst passablen Demonstrationszug namens Christopher Street Day mit Windeln, Schweinsmaske, Lack und Leder zur Schau stellt, hat nichts mit Repräsentativität unseres Volkes zu tun – und ist auch nicht Ausdruck des überwiegenden Verlangens derjenigen Homosexuellen, die eigentlich nichts Anderes wollen als der Hetero. Sie möchten in Ruhe gelassen werden mit einer Perversion von Schöpfung und Evolution. Denn sie ist das Maximum an Verrohung, Abstufung und Pietätlosigkeit. Mit dem sogenannten Selbstbestimmungsgesetz wurde ein weiterer ethischer Dammbruch begangen, der die für jedes Kollektiv unerlässliche Normativität der Beliebigkeit und Willkür preisgibt. Wer seine Identität der Vagheit, Schwammigkeit und Unklarheit verschreibt, mutiert letztlich zum Chamäleon, das bei der Vielzahl an Wechseln seiner Kolorierung irgendwann ins Straucheln gerät.
Es gibt nicht umsonst den wiederkehrenden Vorstoß zur Implementierung einer Leitkultur, die ein Mindestmaß an gängiger Sittlichkeit und tugendhaftem Umgang gewährleisten soll. Dass wir mittlerweile so weit gekommen sind, im Zweifel eine neue Sprache erlernen zu müssen, um unser Gegenüber mit den „korrekten“ Pronomen anzureden, sagt viel aus über den verloren gegangenen Kompass eines vom Weg der Prinzipientreue abgekommenen Miteinanders. Da führen die als politischer Arm fungierenden Marionetten einer Randgruppe jegliche Toleranz und Vielfalt ad absurdum – und schrecken dabei sogar nicht davor zurück, Kinder und Jugendliche frühstmöglich in ihrer Findungsphase zu verunsichern. Sie sollen heute bereits vor der Pubertät mit der Bandbreite an generischen Ausformungen außerhalb der Binarität in Kontakt kommen – und am besten noch mit ihnen auf Tuchfühlung gehen. Was im einzelnen Erwachsenen Ekel erregt, muss für eine Gesamtheit wie die toxische Untergrabung von Regeln und Standards wirken. Wir sind nicht dazu da, die psychotherapeutische Couch für eine Klientel zu mimen, in der das Freud’sche Es das Ich übermannt. Wessen Befindlichkeiten täglich schwanken und zu ständiger Dissoziation von der objektiv zugeordneten Abstammung führen, möge diesen Prozess der Persönlichkeitsspaltung in den eigenen vier Wänden durchleben.
Gleichsam, wie Anzüglichkeiten ins Schlafzimmer und Präferenzen oder Neigungen ins Private gehören, kann die Allgemeinheit nicht dem Diktat von Wenigen Folge leisten. Verbindlichkeiten sind dafür da, um mit Respekt und Anstand behandelt zu werden. Dazu gehört es auch, die Buntheit vom Fahnenmast einzuholen – und wieder das Original zu hissen. Darauf haben jene Anspruch, die unser Grundgesetz auch weiterhin als in Kraft betrachten – und sich nicht vom Totschlagargument der Benachteiligung erpressbar machen. Jeder Mensch genießt bei uns Gleichheit, Ebenbürtigkeit und Würde. Wer sich darüber hinaus Sonderrechte erhofft, weil er aus dem Rahmen fällt, dem müssen wir mit aller Deutlichkeit vermitteln, dass die Zeiten von Trotzigkeit und Bockigkeit vorbei sind – und Sandkasten oder Bällebad kein geeigneter Ort scheinen, um langfristig zu einem ernstzunehmenden Mitglied des zivilisatorischen Gefüges zu werden. Selbstredend darf sich jeder von uns in seiner Community separieren und in Parallelwelten existieren. Das Verbleiben in einem Dunstkreis des geschlechtlichen Überflusses kann allerdings nicht als Exempel für denjenigen verordnet werden, der mit seiner Orientierung im Reinen ist – und sich als selbstverständlicher Teil der Realität begreift.