Kommentar von Dennis Riehle
Niederlagen sind für fast jeden von uns eine schmerzvolle Erfahrung. Dabei ist es eine allzu große Selbstverständlichkeit, dass wir nicht immer nur auf der Sonnenseite des Lebens stehen können. Gerade aus dem politischen Wettbewerb geht man wiederkehrend auch als Verlierer hervor. Und normalerweise sind es Couragiertheit und Selbstbewusstsein, die aus einer Schmach eine Chance werden lassen. Dass dieser Perspektivenwechsel nicht immer gelingt, das macht in diesen Tagen auch der CDU-Politiker Marco Wanderwitz deutlich. Er musste in der Auseinandersetzung mit dem Konkurrenten AfD in der Vergangenheit einstecken – und trägt seither eine Verbitterung in sich, aufgrund derer er nun austeilen möchte. Er hatte sich nicht erst seit gestern in den Kopf gesetzt, die unliebsame Opposition verbieten zu lassen. Nun scheint er von seinem Rachefeldzug manch einen Kollegen im Parlament überzeugt zu haben, sodass dort ein Antrag eingebracht werden soll, dessen Beschluss ein erster Schritt wäre, ein entsprechendes Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht in Gang zu setzen. Dass es für ein äußerst fragwürdiges Verständnis unserer Staatsform spricht, wenn man sich nicht mehr auf inhaltlicher Ebene mit dem Widersacher messen will, sondern stattdessen den Rechtsweg zu bestreiten versucht, ist einigermaßen demaskierend. Ganz abgesehen von der fehlenden Weitsichtigkeit. Denn wer glaubt ernsthaft, dass sich Millionen Wähler von einem solchen Szenario beeindrucken lassen – und im Falle einer Direktive kurzerhand zu den Grünen überlaufen? Prohibition sollte dem Alkohol vorbehalten bleiben, denn unserem liberalen Gemeinwesen tut dieses schärfste Schwert zur Bekämpfung von Entwicklungen nicht gut, die überdies den wegweisenden Prinzipien unseres ach so toleranten Miteinanders widersprechen. Die Untersagung einer Partei ist das letzte Mittel, wenn sich eindeutige Tendenzen breitmachen, das momentan vorherrschende System überwinden zu wollen. Was sich bei genauerem Hinsehen als eine persönliche Abrechnung mit der Alternative für Deutschland herausstellt, dürfte beim Wissen um die Haltung der Karlsruher Richter zum Scheitern führen. Denn sie hätten sich nicht zum ersten Mal mit einer solchen Fragestellung zu befassen – und haben in der Vergangenheit Pflöcke in den Boden gerammt, die als Voraussetzungen für eine entsprechende Restriktion erfüllt werden müssten.
Denn hätte sich der frühere Ostbeauftragte das Urteil des damaligen Prozesses um die NPD näher angesehen, würde er mit einer kritischen und skeptischen Distanz auf die enormen Hürden stoßen, die in der Bundesrepublik für das Kaltstellen einer gegnerischen Kraft zu überwinden sind. Völlig abgesehen vom Problem mit etwaigen V-Leuten und dass es sich wohl um ein jahrelanges Gebaren handeln würde, wenn sich eine der Gewalten dazu entscheidet, diesen Weg zu beschreiten, ist der Ausgang insbesondere mit Blick auf die bisher bekannten Vorhaltungen gegenüber der AfD einigermaßen absehbar. So war es bei der heute als „Die Heimat“ bekannten Institution der Anspruch der roten Roben, dass es für die Indizierung zumindest einer reellen Chance bedarf, etwaige mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarende Überzeugungen, Forderungen und Positionen auch tatsächlich in die Wirklichkeit umzusetzen – was angesichts ihrer mageren Wahlergebnisse und dürftigen Umfragewerte nicht zu erwarten war. Dagegen sah man es als verwirklicht an, dass die Partei einer Ideologie anhängt, die aus Sicht der Juristen nicht mit Art. 1 und 3 GG in Einklang zu bringen sei. Da es aber an einer der beiden Prämissen fehlte, misslang das Bestreben um die Tabuisierung. Wendet man dieses Schema auf den heutigen Fall an, dürfte sich die genau gegenteilige Konstellation als realistisch herausstellen. Denn man wird kaum einen Zweifel hegen können, dass die Blauen zumindest ein theoretisches Potenzial besitzen, an die Macht zu kommen. Auch wenn weiterhin die Brandmauer des Establishments steht, ist ihre Ausgangslage selbstredend deutlich besser als bei der damaligen Verhandlung. Allerdings dürfte die große Schwierigkeit darin bestehen, der Alternative das nachweisen zu können, was im vorhergehenden Kasus gelang. So braucht es eine konkludente, konsistente und plausible Argumentationskette, die in überzeugender Weise wenigstens bei der Führungsriege, Amts- und Mandatsträgern sowie Funktionären eine weitgehende, strukturelle und immanente Ablehnung der freiheitlichen Ordnung und der ihr innewohnenden Werte substanziell belegt.
Es genügen also keinesfalls anrüchige Aussagen oder Positionierungen von einzelnen Personen, um dies untermauern zu können. Auch reicht es explizit nicht, dass die Partei unter Beobachtung der Schlapphüte steht – und von Haldenwang als rechtsextremistisch gebrandmarkt wurde. Dieses Prädikat taugt in seiner fehlenden gesellschaftlichen Anerkennung und dem ausbleibenden gemeinschaftlichen Konsens über eine vermittelbare Definition nicht für eine solide und tragfähige Rechtfertigung, ein Edikt zu erlassen. Schließlich betonten die obersten Gesetzeshüter immer wieder, dass Meinungen und Gesinnungen in einer Volksherrschaft nicht zensiert werden können. Selbst wenn die Bundesinnenministerin dieser Mahnung mit ihrer totalitären Praxis der Repression und Diffamierung der AfD zuwiderläuft, ist sie doch bindend für die Entscheidung der Justitia. Der wiederkehrende Anwurf, Vertreter der Alternative würden eine separierend ausgerichtete Mentalität des ethnopluralistischen Nationalismus hofieren, dürfte auch deshalb nicht überzeugend sein, weil die unmissverständliche Überzahl der Mitglieder, Anhänger und Abgeordneten eine Benachteiligung von Personen allein und pauschal aufgrund ihrer Herkunft unmissverständlich ablehnt. Auch das Konzept der Remigration ist mit Art. 116 umfänglich vereinbar, dessen Tenor der Gründungsväter ausdrücklich die Aufgabe an uns formuliert, eine mehrheitlich autochthone Zugehörigkeit der hier lebenden Bürger zu deutschen Wurzeln zu bewahren. Denn es hat nichts mit Rassismus zu tun, wenn eine Nation auf die völlige Selbstverständlichkeit abhebt, ihre ursprüngliche Integrität und Souveränität erhalten zu wollen. Viel eher ist dieser Anspruch auch völkerrechtlich verbrieft. Dass es zur blauen Programmatik gehören würde, unsere repräsentativen Verhältnisse umkehren zu wollen, ist ebenso eine haltlose Behauptung ohne einen nennenswerten Gehalt. Stattdessen setzt man sich für eine Fortentwicklung in Richtung plebiszitärer Zustände ein, in der die Mitsprache der Basis sogar noch gestärkt würde. Und so mangelt es an der Bestätigung dafür, dass die Partei entweder die Menschenwürde aushebeln möchte, die Demokratie überwinden will oder die prinzipielle Gleichrangigkeit aller Individuen in Frage stellt. Dass unter dieser Maßgabe die Aussicht auf den gewünschten Erfolg äußerst gering ist, dürfte den gebürtigen Chemnitzer zwar nicht interessieren – ihn aber möglicherweise früher oder später ins nächste Fiasko stürzen.