Kommentar von Dennis Riehle
Der Kreativität des Menschen sind prinzipiell keine Grenzen gesetzt. Und so lassen sich auch in einer politischen Irrenanstalt letztlich kaum Szenarien ausschließen, die man mit ein wenig gesundem Menschenverstand für undenkbar hielte – welche aber im Jahr 2024 fast schon zur Normalität geworden sind. Denn wenn du denkst, es geht nicht schlimmer, mit der Ampel klappt’s dann doch fast immer. Und so wirkte der Auftritt von Bundeskanzler Scholz beim Jubiläum der Deutschen Journalistenschule einigermaßen grotesk. In seiner Rede forderte er die Presse in diesem Land auf, weniger Haltung zu zeigen und stattdessen stärker auf faktenbasierte Vermittlung von Hintergründen, Zusammenhängen und Kausalitäten zu setzen. Dabei war es doch gerade dieser SPD-Politiker, der es zumindest nicht verhinderte – sondern möglicherweise gar initiierte, dass sich ein durch den Staat wesentlich mitfinanziertes Recherchezentrum namens „Correctiv“ unter der offenbaren Zuhilfenahme von Geheimdiensten zur Verbreitung von Übertreibungen, Falschbehauptungen und gegebenenfalls sogar Lügen hinreißen ließ. Es hatte ein vermeintliches Geheimtreffen am Lehnitzsee kurzerhand zum Anlass genommen, Schlagzeilen über die Planung einer millionenfachen Remigration von deutschen Bundesbürgern mit Migrationshintergrund in die Welt zu setzen – obwohl es bei der Zusammenkunft von Vertretern der AfD, der WerteUnion, der Identitären Bewegung und der Wirtschaft letztlich allein um den völlig legitimen Anspruch ging, bei uns abgelehnte Asylbewerber, Personen ohne Aufenthaltsberechtigung, nach illegaler Einwanderung, bei Integrationsunwilligkeit, kriminellem Verhalten, Fanatismus oder Verschleierung der Identität abzuschieben.
Nachdem eine eingeschworene Homogenität gutmenschlicher Redakteure den Ball aufgriff – und sich ohne Scham und Not in die Schlagzeile verstieg, Rechtsextreme beabsichtigten Deportationen in die Wüste, kam es quer durch die Republik zu empörten Demonstrationen selbsternannter Verteidiger der Demokratie, welche unserem Regierungschef nur allzu gelegen gekommen sind. Denn er kann in diesen Tagen jegliche Ablenkung von seinem Scheitern nur allzu gut gebrauchen. Es ist also bizarr und skurril gleichermaßen, dass sich dieser Sozialdemokrat nun plötzlich dafür ausspricht, die Leitmedien sollten sich wieder auf Objektivität und Unvoreingenommenheit konzentrieren – und sich nicht vom Zeitgeist vereinnahmen lassen. Schließlich ist es seine Führungsriege, die eine schon seit langem bestehende Beeinflussung von ÖRR und Periodika auf die Spitze trieb. Schließlich können sich nicht einmal die Bewohner der ehemaligen DDR daran erinnern, dass in ihrer Diktatur das Informationsmonopol des Staates derart ausgereizt wurde – und sich alle größeren Sender und Schreibstuben in einem eklatanten Ausmaß der Kanalisierung und Einebnung hingaben. Von sämtlichen Tugenden unseres Berufsstandes, die vor allem Wahrhaftigkeit, Sorgfalt, Vollständigkeit und Distanziertheit umfassen, spürt man heute nichts mehr. Stattdessen rückt eine ohnehin schon immer eher progressiv und pluralistisch anmutende Zunft nahezu täglich ein weiteres Stück nach links – und betreibt mittlerweile eine solch ungeniert und unverfrorene Volksverdummung, dass eigentlich nur noch jene an ARD, ZDF, „Süddeutscher Zeitung“ oder „Die Zeit“ festhalten können, die sich nach einem betreuten Denken und einer Manipulation der eigenen Meinung sehnen.
Selbstredend besteht bei den Menschen schon aus psychologischen Gründen heraus ein generelles Bedürfnis nach Verdrängung, um nicht mit sämtlichen Realitäten behelligt zu werden. Und so lässt sich möglicherweise manch ein Beifall der Nordkoreaner oder Chinesen nachvollziehen, die auch deshalb für ihre Regime im Gleichklang applaudieren, weil sie von sämtlichen Quellen neutraler Nachrichten abgeschnitten sind – und sich sodann eine Parallelwelt zur Wirklichkeit aufbauen können, in der nicht nur die Landschaften blühen, sondern bedarfsweise auch Milch und Honig fließen. Da erklärt sich dann auch manch eine Naivität und Verblendung in unseren Breiten, wenn ein konsequenter Zuschauer von Tagesschau oder „heute“-Sendung durch den isolierten Konsum zu der Einsicht gelangt, dass Deutschland in einem Wirtschaftswunder steckt, am Donbass unsere Freiheit verteidigt wird oder sich auf unseren Straßen Christen, Juden und Muslime friedensbesoffen in den Armen liegen. Als ich mich in der Ausbildung nicht selten an diesen Garanten für eine qualitativ hochwertigen Publizistik orientierte – und die Formate vom Mainzer Lerchenberg oder aus den Hamburger NDR-Studios als Leuchttürme wahrnahm, hätte ich tatsächlich nie daran gedacht, dass sie sich einmal zu abschreckenden Beispielen entwickeln würden, von denen ich mich mit Konsequenz distanziere und ihre Philosophie des Schaffens auf das Schärfste ablehne. Ob es tatsächlich ein Grund zum Feiern ist, dass die altehrwürdige Stätte der journalistischen Qualifikation nunmehr 75 Jahre auf dem Buckel hat, daran möchte ich doch zweifeln. Denn auch sie hat an Reputation und Ruf verloren. Schließlich sind auch von dort stammende Reporter, Moderatoren und Kolumnisten mittlerweile geimpft mit einem Virus der Anbiederung, welches sämtliche Gewissensbisse ausschaltet – und gegebenenfalls auch das über den Äther schicken lässt, was unter einer distanzierten Betrachtung nicht mehr als sachliche Öffentlichkeitsarbeit durchgeht.
Stattdessen mutieren viele Kollegen unter dem Reiz von Karriere, Aufstieg und Erfolg zu Sprachrohren der Obrigkeit – und verstehen sich in einem neuen Rollenverständnis als Hofberichterstatter der Herrschenden, die im Gegenzug großzügig sind mit dem Gewähren der Rundfunkgebühr oder zumindest einer indirekten Förderung des Verlagswesens. Es ist schmerzlich zu sehen, wie Rückgrat und Standhaftigkeit auf dem Altar des Lobbyismus geopfert werden. Gleichsam schlägt jetzt die Stunde all derjenigen Blattmacher, die es nicht auf den Beifall einer unkritischen Leserschaft abgesehen haben. Sondern die sich morgens noch in den Spiegel schauen möchten, weil sie sich als vierte Gewalt eben nicht mit Legislative, Exekutive oder Judikative kuschelnd in ein gemeinsames Bett legen möchten – sondern sich als prinzipieller Skeptiker am politischen System und den gesellschaftlichen Verhältnissen definieren. Anschmiegen ist leichter als Konfrontieren. Doch wer seinen Job in diesem Bereich als einen Weg des geringsten Widerstandes erachtet, hat ihn augenscheinlich verfehlt. Es wäre also gerade Aufgabe derjenigen, die als Dozenten, Lehrer und Fortbilder für den Nachwuchs Verantwortung tragen, die Anwärter auf ihre Bereitschaft zur Provokation abzuklopfen. Dass dies bislang gründlich misslungen ist, eröffnet sich mir unter anderem auch bei dem verheerenden Zeugnis, das die Medienschaffenden anlässlich der oben genannten Worte von Scholz abgeben. Denn ich entnehme da nichts an potenzieller Selbstreflexion oder einem Bewusstsein für eigene Verfehlungen – von denen es aktuell drastische Exemplare gibt, wenn sich der ein oder andere Muckraker hingibt, Mannheim und Sylt auf eine Stufe zu stellen. Daher muss ich die Frage, ob sich angesichts dieses Versagens der Journaille allzu bald neues Vertrauen herstellen lässt, mit einem ernüchternden „Nein“ beantworten.