Von linker Seite heißt es oft, ich sei ein gefühlskalter Mensch. Dieser Befund wird von manch einem Kollegen vor allem deshalb erhoben, weil ich als ehemaliger Flüchtlingshelfer und heutiger Integrationsberater mit Vehemenz gegen die Flutung des Kontinents mit dem neuen „Schutzsuchenden“ Stellung beziehe. Dass es aus meinem Verständnis allerdings wenig mit Humanität zu tun hat, wenn man denjenigen hilft, die eigentlich nicht bedürftig sind und keinen Anspruch auf einen entsprechenden Status haben, wird von denen geflissentlich unter den Tisch fallen gelassen, die Art. 16a GG bis heute offenbar nicht lesen oder verstehen konnten. Denn ein Recht auf Obdach und Versorgung besteht allein aus Gründen der Verfolgung, nicht aber wegen ökonomischen Zwängen und individuellen Unwägbarkeiten. Es mag zwar einem gutgläubigen Globalisten wie eine Zumutung vorkommen, aber Deutschland wird nicht die Welt retten. Schließlich sind wir auf einem Globus mit endlichen Ressourcen und Kapazitäten dazu angehalten, eine entsprechende Abstufung vorzunehmen, ob und wann jemand eine Bleibeperspektive in unseren Gefilden erhält. Denn auch wenn unsere Herzen weit sein mögen, so sind es weder die finanziellen noch personellen Grundlagen. Wir mögen uns alle das Paradies auf Erden wünschen und jeden Schicksalsgeplanten von seiner Last befreien wollen. Aber für Utopien sind nun einmal die Grünen und Roten zuständig, zu denen offenbar auch diejenigen gehören, die in diesen Tagen mit Empörung und Entsetzen auf entsprechende Vorhaben der Bundesregierung antworten, die sich auf eine härtere Gangart bei Beziehern von Bürgergeld geeinigt hat. So will uns also die für ihre überaus großzügige Mentalität gegenüber jedem Bequemlichen bekanntgewordene Expertin Kohlrausch in einem Interview mit dem Focus die These verkaufen, dass es verwerflich und unbarmherzig wäre, wenn man Empfänger der Grundsicherung in einer ohnehin schwierigen Lebenssituationen auch noch kontrollieren und bestrafen würde – wenn sie sich denn verweigerten, trotz der prinzipiellen Geeignetheit konkret vorliegende Arbeitsgelegenheiten anzunehmen.
Folgt man ihrer bisweilen als Freifahrtschein für das Unbehelligtsein der mit Transferleistungen begünstigten Bevölkerungsklientel zu verstehenden Argumentation bis zum Ende, gelangen wir zu einem bedingungslosen Mindesteinkommen – das von den Steuerzahlern mit dem täglichen Aufstehen und Erscheinen am Schreibtisch, auf der Baustelle, in der Fabrik, im Pflegeheim oder im Supermarkt erwirtschafteten Geld finanziert wird, ohne wiederum von den Nutznießern auch nur irgendeine Bemühung zu erwarten. Mit Gerechtigkeit hat dies nur noch wenig zu tun. Stattdessen finden wir uns mitten im Kommunismus wieder, in dessen Gefüge Euronen an den Bäumen wachsen – und sich manch ein zum Faulenzertum berufener Nachbar darauf verlässt, dass das Gegenüber mit seiner Leistung für eine nie versiegende Quelle an Moneten sorgen wird. Wenn wir die größte Selbstverständlichkeit in einem fairen Miteinander preisgeben, indem wir die ohne jede Prüfung und den Anspruch an Anstrengung verwirklichende Gewährung eines Netzes mit doppeltem Boden als Akt der Nächstenliebe deklarieren, kündigen wir letztendlich den Kitt einer Gesellschaft auf. Sie kann dort nicht funktionieren, wo sich nur derjenige zur Schaffung von Wachstum, Wohlstand und Prosperität verpflichtet fühlt, der in seiner tugendhaften Largesse auch jene durchfüttert, die eigentlich einem Job nachgehen könnten – dies aber aufgrund von unterschiedlichen Lebensphilosophien nicht für notwendig und angebracht halten. Es ist ein massiver Sprengstoff für ein Gefüge, dessen Ergehen maßgeblich an Produktivität, Tatkraft und Aufwendung hängt, wenn man sich als wissenschaftlich Berufene dafür ausspricht, Trägheit, Müßiggang und Passivität zu hofieren – und damit denjenigen ins Gesicht zu schlagen, die teilweise über 45 Jahre jeden Werktag mit körperlich und psychisch herausforderndem Eifer dafür gesorgt haben, dass Menschen in einer tatsächlichen Notsituation, in der sie trotz Engagement keine Beschäftigung finden, für einen zeitlich begrenzten Raum abgesichert sind.
Es ist ein Ausdruck von Dekadenz, Verrohung und Abstumpfung, wenn sich ein Idealismus der Apathie, der Lethargie und der Indolenz breitmacht, welcher sich an eine Laissez-Faire-Erziehung im Stil der 68er anlehnt, in der man schon den Heranwachsenden suggeriert, dass ein Beitrag für das Gemeinwohl generell überbewertet sei – und man sich nur dann zu Potenzial, Ausdauer und Spannkraft aufraffen müsse, wenn die individuellen Gefühle nicht dagegen sprechen. Wo wäre dieses Land heute, wenn eine solche Manier bei den Boomern Einzug gehalten hätte? Der Souverän ist nicht dazu angehalten, das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum ohne Vorbehalt zu garantieren. Stattdessen liegt eine Bringschuld gerade bei demjenigen, der nicht aus gesundheitlichen oder anderen Gründen an an seiner Erwerbsfähigkeit gehindert ist – und deshalb auch gesetzlich verbriefte Mitwirkungspflichten besitzt. Wer dieses Prinzip aushebeln möchte, der attackiert die ohnehin edle Geberbereitschaft der Tüchtigen in diesem Land. Wir sind zweifelsohne von einer nahezu grenzenlosen Solidarität beseelt. Doch der Sozialstaat ist keinesfalls auf Einseitigkeit ausgelegt. Wir haben zweifelsohne Nachholbedarf mit Blick auf die Vermittlung von Arbeitssuchenden. Denn das Matching gelingt in anderen Nationen deutlich besser als bei uns. Auch hierbei kommt es auf die Eigeninitiative der Betroffenen an. Wer sich auf den Standpunkt stellt, die zuständige Behörde müsse sich um eine Rückkehr in den Beruf kümmern – und deshalb im Zweifel über Dekaden seelenruhig, abwartend und gehemmt im Bezug von „Hartz IV“ und seinem Nachfolger verbleibt, ist nicht nur behäbig, sondern schlichtweg dreist. Und was bei allen Überlegungen beständig ausbleibt, ist darüber hinaus der profane Gedanke, wonach die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit nicht nur als monetäre Einnahmequelle gedacht ist. Stattdessen sind es Tagesstruktur, Ablenkung und Bestätigung, sich in einem Job zu einer Passion und Leidenschaft verpflichtet zu fühlen, die man nicht allein auf Drangsal und Pein degradieren sollte. Denn sie hat daneben eine nicht zu unterschätzende und sinnstiftende Funktionalität, die offensichtlich in einer Zeit mehr denn je notwendig und hilfreich ist, in der dem ein oder andere Bundesbürger die Orientierung verloren gegangen zu sein scheint.