Kommentar von Dennis Riehle
Gut Ding will Weile haben – so heißt es zumindest im Sprichwort. Denn gerade bei wichtigen Entscheidungen sollte man sich Zeit nehmen, um sie reifen zu lassen. Selbstredend ist ein solches Credo bei entsprechenden Verfahren vor Gericht kaum möglich, die in Eile zu einem Ergebnis kommen sollen. Trotzdem mutet das Votum des Verfassungsgerichtshofes in Thüringen einigermaßen befremdlich an. Sein Spruch erging in einer für den kritischen Beobachter von außen einigermaßen hauruckartigen Manier, nachdem man dem kommissarischen Landtagsoberhaupt der AfD die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt hatte. Man kann unter Betrachtung der Gesamtumstände nur mutmaßen, inwieweit die Verantwortlichen bereits vorberaten hatten, um zu einem Resultat zu gelangen, das in einem auf penible Einhaltung von Paragrafen ausgerichteten System schon allein deshalb eigentümlich wirken muss, weil die roten Roben in Karlsruhe im Gegensatz zu ihren Kollegen aus Weimar der Selbstverwaltung des Parlaments stets größtmöglichen Spielraum gewähren. Von dort mischt man sich nur äußerst selten in den Betrieb der Repräsentantenhäuser ein. Umso erstaunlicher ist die prompte Annahme des Gesuchs der CDU gewesen, man möge bitte juristisch zu einem Drehbuch verhelfen, welches Jürgen Treutler haarklein vorschreibt, wie er die konstituierende Sitzung zu leiten habe.
Normalerweise sollten diese Abläufe im Hohen Haus intern geklärt und nicht durch die Einbeziehung einer rechtlichen Instanz diktiert werden. Vor allem gilt dies auch unter der Maßgabe, dass deren Zusammensetzung zuletzt vor allem durch Rot-Rot-Grün bestimmt wurde. Hier schaltete sich auf Geheiß von Mario Voigt samt seines Dunstkreises ein bei kritischer Distanz als höriges Tribunal anmutender Kadi ein, der bei der Festlegung einer Tagesordnung für den Plenarsaal eigentlich nichts zu suchen hat. Dass man sich nunmehr zu einer einstweiligen Verfügung hinreißen ließ, die eingeschliffene Gepflogenheiten weitgehend unbeachtet ließ, gehört zu einem weiteren Höhepunkt in diesem Drama, in dem sogar Shakespeare mit der Regie überfordert gewesen wäre. Denn üblicherweise sind die wenigen Schritte bis zur Wahl über einen endgültigen Präsidenten aus der Gewohnheit her festgelegt. Dazu gehört unter anderem die Feststellung der Beschlussfähigkeit und die Besetzung der Posten des Schriftführers. Es ist entlarvend, wie ein alteingesessenes Kartell unter der Führung des sich noch immer als christlich schimpfenden Zweitplatzierten auf Teufel komm raus durchsetzen wollte, Prinzipien und Regeln noch vor der Abstimmung über die künftige Speerspitze der Abgeordnetenkammer zu ändern.
Ausschlaggebend waren hierbei die parat gehaltene Taktik, Strategie und Methode verkopfter Brandmaurer, deren oberstes Ziel die Kleinhaltung der Alternative für Deutschland bleibt. Sie demaskieren ein Gebaren, welches von langer Hand inszeniert schien. So hatte der noch immer unter Plagiatsverdacht stehende Fraktionsvorsitzende eine mittlerweile durch die Medien veröffentlichte Prozessvollmacht schon am 25.09.2024 ausgestellt, obwohl der entscheidende Eklat erst einen Tag später stattfand. Und so braucht es nicht einmal mehr die Glaskugel oder eine Verschwörungstheorie, um zu dem schlichten Befund zu gelangen, dass sich eine bis ins Detail vorgefertigte Posse nach Fahrplan verwirklichte. Man war auf alle Eventualitäten vorbereitet – und arbeitete sukzessive den gewollten Skandal ab, dessen Vorlage bei den Richtern nicht etwa spontan abgewogen wurde. Viel eher erinnern die einzelnen Schachzüge an ein Versuchslabor, in dem der Test offenbar schon seit langem Schritt für Schritt simuliert schien. Dass sich der Souverän mittlerweile nicht nur hier als Teil einer Anordnung wiedererkennt, die unsere Herrschaftsform auf eine harte Probe stellt, ist eine nüchterne, sondern zugleich frustrierende, enttäuschende und verärgernde Botschaft.
Sobald sich bei ihm der Eindruck verfestigt, wonach es um die Gewaltenteilung nicht mehr allzu gut bestellt ist, weil die Gesandten Justitias ziemlich willkürlich, übergriffig und anmaßend dazwischen grätschen, wenn das Polit-Theater nicht so verläuft, wie es sich das Einheitsbündnis vorstellt, wird weit mehr als nur das Vertrauen in den gesamten Apparat in Frage gestellt. Man macht sich viel eher Gedanken darüber, wie weit fortgeschritten die Verwobenheit der unterschiedlichsten Akteure des Staates und seiner Handlanger bereits sein mag. Und zumindest für das beschauliche Bundesland im Osten dürfte man attestieren, dass die vielen Jahre unter einem linken Ministerpräsidenten aus einem intakten Gefüge die Kernschmelze für Werte, Sitten und Normen der Demokratie gemacht haben. Wie lange eine Ausgrenzung des Gewinners vom 1. September 2024 gelingen kann, ohne den Unmut und Zorn ähnlich laut wie zum Ende der DDR auf die Straße zu holen, das lässt sich insbesondere deshalb schwer abschätzen, weil die Lethargie der Deutschen nach der zweiten Diktatur erneut vollends durchgebrochen ist. Letztlich gehen die sesselklebenden Protagonisten aber doch ein immenses Risiko ein, auf Kante genäht darauf zu bauen, dass sich der Untertan nach Corona, Heizungsgesetz oder „Wir schaffen das!“ neuerlich einen nur noch für Naive übersehbaren Absolutismus gefallen lässt. Ich würde dieses Mal eher nicht darauf wetten, dass die Wut der Volksseele vor dem Siedepunkt Halt macht.