Kommentar von Dennis Riehle
Wir stehen heute in einem eigentümlichen Spagat, den wir so in der Geschichte der Bundesrepublik wohl noch nie erlebt haben. Denn wir schwanken zwischen der Furcht vor einem möglichen Atomkrieg auf der einen Seite – und der Angst vor der freien Meinungsäußerung auf der anderen Seite. Während der erstgenannte Fall für die ganze Welt eine existenzielle Katastrophe wäre, so ist die zweite Konstellation für Demokratie, Rechtsstaat und Verfassung eine Bankrotterklärung. Denn der Willkürstaat beginnt dort, wo der Einzelne gar nicht mehr weiß, wo denn nun eigentlich die Grenze des Strafbaren beginnt. In Entwicklungsländern gibt es eine größere Verlässlichkeit auf Gesetze und Paragrafen als bei uns. Schließlich ist der Ausgang von Verfahren heutzutage abhängig davon, bei welchem Gericht eine Akte landet. Da ist der Interpretationsspielraum für den einzelnen Juristen derart immens, dass er die Sperrlinie zwischen einer bloßen Unhöflichkeit als eindeutig nicht sanktionierbarer Kundgabe und einer tatsächlichen Beleidigung als einem schlichten Bagatelldelikt nach Belieben ziehen kann.
Und was die militärischen Bedrohungen auf unserem Kontinent angeht, muss man sich tatsächlich einmal vor Augen führen, wie konsequent Präsident Macron und der britische Regierungschef dazu bereit sind, den offenbaren Willen des eigenen Volkes zu übergehen – und nach den Erfahrungen aus dem 20. Jahrhundert von ihrem Boden beginnend eine Schlacht anzuzetteln, die so manches Vergangene in den Schatten stellen würde. Man kann in diesen Stunden nur von Glück sagen, dass die USA eindeutig gewählt haben. Denn dass man sich diesseits vom Atlantik tatsächlich trauen würde, ohne ein positives Signal aus Washington loszuschlagen, daran kann man durchaus Zweifel haben. So wird es auf Donald Trump ankommen, den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine durch einen sich andeutenden Kompromiss zu einem vorläufigen Ende zu bringen. Ich persönlich habe keine akuten Bedenken. Aber selbstverständlich wäre es geleugnet, würde ich nicht die Zündelei wahrnehmen, an der sich auch bei uns von Friedrich Merz über Roderich Kiesewetter, Michael Roth und Anton Hofreiter bis hin zu Marie-Agnes Strack-Zimmermann Politiker aus nahezu dem gesamten Einheitskartell verantwortungslos beteiligen. Wer ihnen die Rote Karte zeigen will, votiert am besten bei nächster Gelegenheit für Blau.