Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Landtag Baden-Württemberg stimmt über Palantir ab – Kritik an Polizei-Software“ (aus: STIMME vom 12.12.2025)
Es war ein erster Tabubruch, den die Alternative für Deutschland im Abgeordnetenhaus von Berlin begangen hatte. Sie stimmte einer Gesetzesänderung zu, wonach es der Polizei künftig unter gewissen Voraussetzungen möglich ist, in fremde Wohnungen einzudringen, um dort Spähsoftware auf den Endgeräten zu installieren. Obwohl die Koalition unter Regierungschef Kai Wegner nicht auf die Stimmen der Partei angewiesen war, gab sie ihrerseits grünes Licht. Ohne Not und ohne Scham votierte sie für eine Verschärfung geltender Regeln, die vor allem Grundgesetze aushöhlt. In der öffentlichen Wahrnehmung, aber auch bei der eigenen Anhängerschaft, stieß man mit diesem Vorgehen auf massive Kritik, konnte doch das Argument der Kriminalitätsbekämpfung in diesem Zusammenhang nicht überzeugen. Denn die Verhältnismäßigkeit stand auf dem Spiel, zu wenige Mechanismen waren eingebaut, um Missbrauch zu verhindern. Gerade in der jetzigen Zeit, in der auch Jagd wegen Meinungsdelikten gemacht wird, ist das Potenzial für Willkür hoch. Das hätte man eigentlich wissen müssen, sendete aber trotzdem ein fatales Signal aus, das erheblich an Redlichkeit und Rückgrat der Oppositionskraft AfD zweifeln ließ. Ein neuerlicher Sündenfall auf äußerst tönernen Füßen der Rechtfertigung, der sprachlos zurücklässt.
Nach dem Berliner Sündenfalls folgte nun der Stuttgarter Tabubruch…
Und auch in Baden-Württemberg stellt es sich als äußerst anrüchig dar, dass ein Großteil der Fraktion der Verschärfung des Polizeigesetzes das Jawort gab. Inbegriffen ist der künftig legitime Einsatz des sogenannten Datenanalyse-Systems „Palantir Gotham“, subsumiert unter der prinzipiellen Technologieoffenheit in Sachen Nutzung weitreichender Tools zur angeblichen Verfolgung von Terrorismus und Kinderpornografie. Im November hatte das Parlament in Stuttgart zur Entscheidung gefunden, aus der AfD gab es ahnungsloses bis vorbehaltloses Kopfnicken, als das Bündnis aus CDU und Grünen den Weg für massive Grundrechtseinschränkungen der Bevölkerung ebnete. Dass zahlreiche Abgeordnete der „Blauen“ mitstimmten, muss wiederum hellhörig machen. Wissen die Mandatare nicht darum, wie anfällig solche Paragrafen sind, um sie in einer Epoche der Gängelung von Dissidenten, in einer Hetzjagd der dritten Gewalt gegenüber Menschen mit anderslautender Gesinnung, für staatliche Potenz zu instrumentalisieren? Warum passt man sich jenem Kartell an, das man eigentlich bekämpfen will, wird zum Steigbügelhalter, künftig große Datenmengen automatisiert aus verschiedenen Quellen zu analysieren und zu verknüpfen? Hat man sich nicht darüber informiert, wie die eigenen Anhänger denken?
Gerade die AfD müsste um das Missbrauchspotenzial zu weitreichender Befugnisse wissen…
Selbst der unbescholtene Bürger ist nicht geschützt, ins Fadenkreuz zu geraten. Vorwiegend für schwere Kriminalität gedacht, will man etwas für die Ordnung tun. Doch die Befugnisse reichen weit, für Experten zu weit. Von der Entwicklung über das Training und Testen bis zur Validierung personenbezogener Daten, beispielsweise von Klarnamen, Adressen und Gesichtsbildern. Inbegriffen sind dabei auch Daten unbeteiligter Personen, wie jener von Zeugen, Opfer oder Anzeigenerstattern, die in den Polizeidatenbanken gespeichert sind. Was dazu gedacht ist, Straftaten vorzubeugen und aufzuklären, schnellere Auswertung von Datenbergen zu ermöglichen, hat einen gravierenden Beigeschmack. Die sogenannte Experimentierklausel öffnet Tür und Tor für die Erprobung weiterer Digitalisierung, die Vorgaben zu Datenschutz, Transparenz und Kontrolle mildern dabei den exzessiven Eingriff in die Privatsphäre der Menschen kaum ab. Warum hat nun auch die AfD mitgemacht? Wieder einmal beruft sie sich darauf, die innere Sicherheit stärken zu wollen. Es klingt nach einem hehren Ziel, harte Hand zu zeigen gegenüber Schwerstverbrechern. Doch der Kollateralschaden, den man in Kauf nimmt, ist immens. Der Vertrauensbruch erweist sich als gravierend, das Hadern der Partei selbst aber nicht.
Eifrige Rechtfertigungsversuche gehen dank ihrer Zahnlosigkeit völlig ins Leere…
Man versucht, sich offiziell zu erklären, hat erst Anfang Dezember die Haltung verteidigt. Es bräuchte moderne Werkzeuge für die Ermittlungsbehörden angesichts einer veränderten Bedrohungslage. Die eingesetzte Technik habe sich international bewährt, sei momentan die beste Lösung. Man habe klare Bedingungen formuliert, unter anderem die Wahrung der Verhältnismäßigkeit und eine Zweckbindung. Die Partei wolle keinen unlimitierten Überwachungsstaat unterstützen, verweist auf umfassende Protokollmechanismen. Doch soll man diesen Prämissen wirklich glauben? Überwiegt der Nutzen die Risiken? Es gibt fachlich Skepsis an der vorgenommenen Abwägung. Der innenpolitische Sprecher Sandro Scheer bemängelte die ideologische Ablehnung der Gesetzesverschärfung als „borniert“. Es klingt wie ein Schlag ins Gesicht jener, die sich Sorgen darüber machen, dass Befugnisse in die falschen Hände geraten, in den Zuständigkeitsbereich von Staatsanwaltschaften, die bei Bedarf kein Problem damit haben, die Einsatzmöglichkeiten von „Palantir“ breit zu definieren. Einen Gefallen hat man sich mit dieser herabwürdigenden Arroganz gegenüber der Basis nicht getan, ist mit Ansage im Elfenbeinturm der Macht und Hybris angekommen. Schade um bisher aufgebaute Integrität, sie scheint mit einem Schlag dahin.







