Rezension von Dennis Riehle zu Alexander Tuschinskis „Cutting Squares“
Wir alle gelangen in unserer Existenz an den Punkt, der Fragen zu Wurzeln, Herkunft und Prägung auslöst. Schließlich sind wir mit der überschaubaren Anwesenheit auf diesem Globus stets eingebettet in die Evolution, die auch im Kleinen so viele überraschende, kurvenreiche und unerwartete Wendungen nimmt. Was macht uns aus, wo kommen wir her? Die Antworten darauf sind nicht immer einfach, stellen sich Zusammenhänge oftmals knifflig und verzwickt dar, aber vor allem auch mit manch potenzieller Bürde, Verantwortung und Furore belastet.
Überzeugend durch Inhalt, Schnitt und Dramaturgie
Im Resümee lässt er sich auf die Formel bringen, ganz berechtigt ausgezeichnet worden zu sein, ist er doch erneut eine Meisterleistung in Sachen Dokumentation und Illustration einer überaus bewegenden Familientradition, welche der Regisseur nicht nur sehr persönlich gestaltet hat. Sondern gleichzeitig – trotz der engen emotionalen Verbundenheit mit dem Thema – über die gesamte Strecke den Status als unparteiischer Beobachter auch dann nicht verlässt, ist er in der entsprechenden Szene selbst als gefragter, auratischer und privater Protagonist aufgetreten.
Da ist ein wirklicher Meister am Werk!
Hier zeugt dieses Kunststück von größter Professionalität und Routine, bei solch einer Involviertheit die nötige Distanz zu wahren, um von der Sachebene nicht etwa auf das Niveau der ausschließlich gefühlsbetonten und dramaturgischen Biografie ohne objektiven Mehrwert abzurutschen. Stattdessen wahrt der Filmemacher für unbeteiligte Zuschauer – ohne Vorwissen und Eingebundenheit in die Komplexität dieser wirklich einzigartigen Retrospektive – einen bereichernden Gewinn an historischen, geografischen und generellen Erkenntnissen.
Ein Glanzstück in Sachen professioneller Distanz und emotionaler Eingebundenheit!
Die Kameraführung ist durch ihre personenzentrierte, facettenreiche und plakative Ausrichtung, schwankend zwischen hohem Tempo einer mitreißenden Abfolge von Impressionen und einer ruhigen, betrachtenden wie einfangenden Positionierung, ideal dazu geeignet, Spannung aufzubauen – und gleichzeitig einen roten Faden zu spinnen. Die verschiedenen Ortswechsel sowie die empathisch geführten Interviews bringen nicht nur Vitalität und Authentizität. Sie machen das Werk viel eher zum kurzweiligen Abenteuer ohne künstliche Geschmacksverstärker.
Herzblut und Leidenschaft in jeder einzelnen Sendeminute
Inhaltlich ist es gelungen, durch einen klar erkennbaren Schnitt das sukzessive und im Handlungsablauf problemlos nachvollziehbare Zusammenfügen von Bausteinen in Richtung eines Mosaiks auch für jenen Außenstehenden interessant zu machen, der keinen individuellen Bezug zu Gestalt und Materie hat, aber nicht nur etwas über Ahnenforschung lernen möchte, sondern in einem philanthropischen Reiz nach Musterbeispielen für einen memorialen Lebensabriss sucht, der sich nicht im Üblichen erschöpft, aber dafür zur Eigeninitiative anregt.
Es ist schwer, am Ende von diesem Spannungsbogen loszulassen…
Man fühlt sich mitgenommen in eine Mischung aus Kriminalroman, Detektivgeschichte und Spurensuche eines für das unbekannte und tendenzlose Publikum leidenschaftlich anmutenden Nachkommens, der sich nicht allein mit Aufzeichnungen oder Urkunden zufriedengibt, sondern eintauchen will in das Erleben eines Zeitzeugens, der feinsinnig Bruchstücke an die richtige Stelle bringt, um am Schluss eine Erzählung in Händen zu halten, die zu weit mehr als Identifikation taugt. Sie erweist sich als genealogisches Zeugnis, das pure Originalität ausstrahlt.
Regisseur Alexander Tuschinski ist im Internet und auf der Plattform X vertreten.