Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „AfD: Nachdenklichkeit nach Umkehr des Verbandes ‚Die Familienunternehmer'“ (aus: „Handelsblatt“ vom 01.12.2025)
Wie entstehen eigentlich Trugbilder? Wenn wir uns einen Eindruck von einer Person oder Institution verschaffen, dann gelingt ein faires Urteil vor allem dann, gehen wir unvoreingenommen an die Wertung. Stellt sich für den Wähler die Frage, bei wem er sein Kreuz auf dem Stimmzettel machen will, so bringt er oftmals eine ideologische Verankerung, eine biografische Prägung oder eine eingespielte Routine mit, macht er sich an die Aufgabe, die verschiedenen Wettbewerber mit ihren Positionen abzuwägen. Im besten Fall kommt man als Bürger also ohne Ressentiments zum endgültigen Entschluss, wem man für die nächsten vier Jahre das Vertrauen schenken möchte. Distanz und Abstand sind insofern kluge Ratgeber, auch wenn man sich noch so sehr mit einer Programmatik identifizieren kann. Schließlich gilt das Zitat von Carl Friedrich von Weizsäcker: „Der Politik ist eine bestimmte Form der Lüge fast zwangsläufig zugeordnet: das Ausgeben des für eine Partei Nützlichen als das Gerechte“. Und so tappen wir schnell in eine Falle, uns von Charakteren und Forderungen vereinnahmen zu lassen, sie zu verklären, zu idealisieren, sollte uns grundlegende Skepsis entwichen sein.
Die AfD hat Schwierigkeiten, Ideale zu erreichen, die sie bei ihren Konkurrenten einfordert…
Entsprechend selbstkritisch betrachte ich mein Verhältnis zur AfD in den vergangenen Jahren. Nicht nur als Privatmensch habe ich eine große Sympathie gehegt, weil ich nicht zuletzt der Überzeugung gewesen bin, dass sich eine maßgebliche Veränderung in diesem Land nur mit Kräften erreichen lässt, die abseits des etablierten Systems stehen. Auch als Journalist war es mir ein demokratischer Auftrag, die gescholtene Opposition im konstruktiven Licht darzustellen, wird sie doch von vielen Kollegen weit mehr als nur stiefmütterlich behandelt. Doch weil ich mir stets das Reflektieren bewahrt habe, regten sich in mir beharrliche Zweifel an der Integrität einzelner Vertreter und ganzer Strömungen innerhalb der Alternative für Deutschland, als ich aus ihren Reihen als Teil „der“ Medien, als Abgesandter der „Lügenpresse“ diffamiert wurde. Differenzierung ist heutzutage eine Tugend, nur wenige beherrschen sie noch. Da wird auf der einen Seite völlig zurecht die Sündenbock-Mentalität der „Guten“ angeprangert. Gleichzeitig verkörpert man selbst das Prinzip der Sippenhaft. Über einen Kamm scheren, fühlt man sich moralisch überlegen, das stand eigentlich den Grünen zu Gesicht.
Unterscheidet die „Blauen“ vielleicht deshalb nicht allzu viel von verkrusteten Strukturen, weil überall dort Argwohn und Missgunst herrschen, wo man sich in Sorge vor dem Verlust der Deutungshoheit über das „Feind-Freund-Schwarz-Weiß“ vorsorglich der Schablonisierung hingibt? Über mehrere Monate wurden mir aus den Reihen der AfD Interna zugespielt, von anonymen Absendern, per Post und E-Mail. Insgesamt mehr als 120 Seiten an Chats, Protokollen, Notizen und Vermerken, ein Sammelsurium aus Fetzen, die einen Anschein vermitteln sollen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Aus den diversen Landesverbänden, insbesondere dem nordrhein-westfälischen und jenen im Osten, wurden gezielt Passagen durchgestochen, die nicht nur einen rüden Umgangston untereinander offenlegen. Da wird von Missbrauch der Macht geschrieben, von gravierenden Mängeln innerparteilicher Demokratie, von Mobbing und Ausgrenzung, von Verleumdung oder Bedrohung. Statt Ämter und Funktionen per Wahl zu vergeben, soll ernannt worden sein. Eine Stimmung der Potenz, eine Atmosphäre der Autorität, wird geschildert. Wer nicht für uns ist, ist gegen uns – so lautet augenscheinlich das Motto.
Meine Schlussfolgerung aus manch einer Enttäuschung: Heilsbringer gibt es nicht!
Rivalitäten zwischen den Flügeln, Einflussnahme auf Verantwortliche und Zuständige. Aus Furcht gab es Austritte, die Unterlagen gingen offenbar an mehrere Journalisten. Gegen Ende der Dokumente taucht auch mein Name auf: Der „nützliche Idiot“, der „zwar gut schreiben kann“, aber „schon 600 Mal das Gleiche gebracht hat“ und letztendlich „nur noch nervt“, „ignoriert und blockiert“ und „nicht gefördert“ werden sollte, denn „dann hört der Fanboy schon auf“ hat mit einer derartigen Perspektive gerechnet. Schließlich konnte ich längst spüren, dass man „dem Riehle bloß keine RT (Reposts, Anm. d. A.) + Likes oder Antworten geben sollte“, denn der „macht das nicht aus Überzeugung, sondern nur für Aufmerksamkeit“. Die Alternative für Deutschland braucht kein Wohlwollen, hat sie angepasste Kanäle, über die sie kommuniziert. Interaktion zeigt sie lediglich unter ihresgleichen, vielleicht aus der ängstlichen Vorstellung, jeder positiv eingestellte Publizist könnte sich als Strohmann des Verfassungsschutzes entpuppen. Die pauschale Ablehnung dürfte dem ernüchternden Befund geschuldet sein, dass Manipulation und Egoismus sprießen, wo sie dem eigenen Erfolg dienen.
Man kann nur dort aus allen Wolken fallen, wo man zu hohe Erwartungen hatte. Glücklicherweise ist man nach langjähriger Erfahrung mit dem politischen Berlin geläutert, lässt sich nicht mehr so einfach überraschen. Trotzdem erweist sich eine Mischung aus dem Ehrlichmachen, dem Eingeständnis an thematischer Monotonie, dem Attest des Menschelns und dem Zeugnis der Generalisierung als gravierendes Defizit eines Hoffnungsträgers, der auch nur mit Wasser kocht – und für seine Ziele über sittliche Leichen zu gehen bereit ist. Meine Konsequenz ist das Diversifizieren, den Blick künftig wieder stärker auf das gesellschaftliche Geschehen im Allgemeinen zu richten, mich nicht mehr in den Dienst einer Sache zu stellen, sondern die AfD mit ihrer Gangart glücklich werden zu lassen, alles zu verteufeln, was nicht gänzlich linientreu ist. Sie bleibt weltanschaulich die prägende Option, aber eben nicht der einzige Ausweg aus der Misere unseres Landes. Andernfalls wären Glorifizierung und Sektierertum die Folge, was auch nicht Sinn der liberalen Volksherrschaft sein kann. Auf dem Boden der Tatsachen fühle ich mich wohler als im Himmel der Romantisierung.







