Quelle: Clipdealer.de, B12286302, erworbene Standardlizenz.

Sag‘ ich es oder sag‘ ich es nicht? Eine journalistische Abwägung über den Umgang mit AfD-Interna um des Großrauskommens willen…

Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „In Interner Chatgruppe: AfD streitet hart über Konstantin Weckers frühere Beziehung zu einer Minderjährigen“ (aus: WELT vom 22.11.2025)

Es gehört wahrlich nicht zum Alltag eines Journalisten, sich nach 64 E-Mails und 16 großvolumigen Postsendungen innerhalb eines halben Jahres vor insgesamt 118 ausgedruckten DIN-A4-Seiten an durchgestochenen Interna aus der AfD wiederzufinden. Mein Schreibtisch gleicht einem Schlachtfeld, mehrere Textmarker sind mittlerweile aufgebraucht. Es hat eine Zeit gedauert, sich durch all das zu arbeiten, was aus Flügeln und Lagern unterschiedlicher Landesverbände ungefragt bei mir eintraf, offenbar in der Hoffnung, ich könnte daraus die ein oder andere skandalträchtige Geschichte machen. Und tatsächlich gehöre ich zu den Medienschaffenden, die sich mit einer solchen Entscheidung schwertun. Gerade investigative Kollegen erliegen oftmals dem Reiz, reflexartig an einen Karriereschub zu denken, besteht die Chance darauf, mit Schlagzeilen ins Rampenlicht zu rücken. Doch wir haben gleichsam eine publizistische Verantwortung, sollen den Leitlinien gemäß auf Sensationsberichterstattung verzichten. Es ist also die klassische Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse einerseits und dem Schutz von Persönlichkeitsrechten Einzelner andererseits, die getroffen werden muss, um dabei wohlbedacht zu sein.

Die journalistische Verantwortung muss die Interessen des Medienschaffenden überwiegen…

An einer der letzten Stellen steht in der Gegenüberstellung von Argumenten ein möglicher Aufmerksamkeitsgewinn, ein Heldendasein für mich selbst. Mein Ziel ist es nicht, „groß rauszukommen“, sondern mir der Macht der vierten Gewalt bewusst zu werden, die man lediglich dann nutzen sollte, wenn daraus für die allgemeine Debatte ein Mehrwert resultiert. Nein, die Alternative für Deutschland ist mit mir wahrlich nicht fair umgegangen. Auf mittlerweile mehr als 850 Artikel zur Partei, dutzende wohlwollende und konstruktive Portraits über ihre Politiker, gab es nicht einmal in 20 Fällen eine konkrete Rückmeldung. Intensives Engagement blieb völlig unberücksichtigt, weshalb ich durchaus die Lust auf Schadenfreude in mir verspüren könnte. Doch meine individuellen Bedürfnisse sollten in einer Zeit keine Rolle spielen, in der die Republik im Gesamten, die Zukunft eines Volkes, der Fortbestand von Sicherheit, Identität und Freiheit im Mittelpunkt stehen. Und so war es eine schlichte Ermessenssache, mehrere „Storys“ oder gleich ein ganzes Buch daraus zu machen, was ich an „WhatsApp“-Nachrichten, nicht-öffentlichen Vermerken und Schriftverkehr von wie über teils hochrangige Funktionäre zu lesen bekam.

Die AfD ist kein Hort der Glückseligkeit, sondern eine Partei, in der es eben menschelt…

Man wird nicht allzu viel verraten, wenn es dabei um Vorwürfe der Korruption, um das Unterbinden von Wahlvorgängen innerhalb der AfD, um vermeintlich rassistische Äußerungen, übermäßigen Alkoholkonsum, völlig entglittene Stammtische, Einflussnahmen auf Delegierte oder schlichte Gewaltandrohungen unter seinesgleichen geht. Doch taugen diese Vorkommnisse tatsächlich dazu, das Bild derjenigen zu verzerren, die ohnehin durch linksradikale Agitation gebrandmarkt und angeprangert werden? Muss man tatsächlich Öl ins Feuer gießen, will ich mich als Brandstifter instrumentalisieren lassen? Handelt es sich um strukturelle Probleme oder Einzelfälle? Und gehen die Geschehnisse über das hinaus, was man von jeder Institution sowieso schon kennt, in der es nun einmal menschelt? Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Darüber sollte man sich auch bei den „Blauen“ stets im Klaren sein. Eine Verklärung ist ebenso unangebracht wie eine Pauschalisierung. Als erfahrener Kenner der Abläufe in Berlin bin ich geerdet. Mich erschüttert nur noch wenig, gleichzeitig bin ich schon lange vom Glauben an mögliche Heilsbringer abgefallen. Denn sie wird es nicht geben, weil die Rahmenbedingungen keine Wunder zulassen.