Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Alle aktuellen Umfragen zur Landtagswahl Baden-Württemberg 2026“ (aus: „Frankfurter Rundschau“ vom 15.12.2025)
Ich war nie der klassische Linke, zu konservativ und heimatverbunden. Doch aufgrund der sozialen Frage, des Wunsches nach Frieden, des Verlangens nach Umweltschutz galt mein Kreuz auf dem Stimmzettel lange Zeit SPD und Grünen. Weniger aus voller Inbrunst, sondern auf der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Dann aber kamen die Erfahrungen als Integrationsberater, machte ich Bekanntschaft mit den Auswirkungen des Tabubruchs der Angela Merkel aus 2015, um mich zu fragen, was sie der Bundesrepublik eigentlich zugemutet hat. Angelangt in den neuen Medien, war ich zunächst noch bedacht auf die sogenannte Kontaktschuld. Mit der AfD spricht man nicht, so klang es mir im Ohr. Bald jedoch stieß ich in meiner Timeline auf einen Beitrag des bayerischen Landtagsabgeordneten Jörg Baumann. Er sprach mir mit seinem Text aus der Seele, benannte die Missstände klar und unverhohlen. Und er reagierte prompt auf meine wohlwollende Antwort, riss kurzerhand eine Brandmauer nieder, die ohnehin nicht sehr stabil war. Denn in meiner tiefen Überzeugung verhaftete stets der demokratische Gedanke, in sämtliche Richtungen gesprächsbereit zu bleiben. Bei den darauffolgenden Wahlen erhielt die Alternative für Deutschland zum ersten Mal mein Votum, nicht nur aus Protest.
Ich habe uns wirklich viele Chancen gegeben, ein eingespieltes Team zu werden…
Schließlich hatte ich mich inständig mit der Programmatik auseinandergesetzt, mir die Verlautbarungen der unterschiedlichen Vertreter angehört, Material durchstöbert. Und ich erkannte mich in so vielen Positionen und Forderungen wieder, dass ich von einer Liaison sprechen konnte, welche auf mehr fußte als der oberflächlichen Sympathie. Natürlich gab es manch einen strittigen Punkt, man wird nie in allen Facetten gleich argumentieren. Doch das ist auch nicht nötig, um in der überwiegenden Mehrheit Übereinstimmung zu erkennen. In meiner publizistischen Neugier tastete ich mich vor, befasste mich ausführlich mit den verschiedenen Charakteren, der Arbeit in den Parlamenten. Und ich war beeindruckt von der fachlichen Vielfalt, von der substanziellen Tiefe. So war es ein Leichtes, die Partei in einem guten Licht dastehen zu lassen, als ich mich ihr kommentierend widmete. Ich tat dies nicht nur aus der gebotenen Berufsethik, sondern im vollen Bewusstsein, dass eine Veränderung in der Republik nur durch jene gelingen kann, die bisher nicht involviert waren in das etablierte System. Interne Konflikte, schäbiges Dolchstoßen und nach außen dringende Rivalitäten waren für mich nichts Neues, menschelt es doch überall, wo es um Macht, Einfluss und die Söder’schen Fleischtöpfe geht.
Man kann viel verzeihen, bei Pauschalisierung und Ignoranz hört der Spaß aber auf…
Was mich vor dem Urnengang 2026 in Baden-Württemberg jedoch daran zweifeln lässt, den „Blauen“ noch einmal mein Vertrauen zu schenken, ist nicht nur der persönliche Umgang mit mir. Auf nahezu keine einzige Veröffentlichung hat man reagiert, viele Repräsentanten stellen sich als abgehoben, hochmütig und distanziert dar. Sie erfüllen nicht den Anspruch, bürgernah und bodenständig zu sein. Viel eher verhaftet in ihnen das Freund-Feind-Schema. Wer kritisch wird, gehört schnell zum Lager der Verräter, Nestbeschmutzer oder des Verfassungsschutzes. Bisweilen trägt das Suggerieren paranoide Züge, das Schwarz-Weiß-Denken zugunsten von Risikominimierung und Verschwörungsglaube. Reflexartig wird in Schablonen unterteilt, wer nicht gänzlich auf Linie ist, wird zum Gegner degradiert. Selbstreflexion nahezu null, von Überheblichkeit dafür eine ganze Menge. Die von links aufgestellte Brandmauer pflegt man von rechts gleichermaßen. Der Dialog über Grenzen hinweg scheint schwierig, Koalitionsbereitschaft ist kaum erkennbar. Das Bestreben der Alleinregierung mag sinnvoll und nachvollziehbar sein, um tatsächlich etwas drehen zu können. Es sollte allerdings den Anschein vermeiden, dem Autoritären zu frönen. Ganz oder gar nicht, das passt nur schwer in die liberale Volksherrschaft.
Die AfD wird ihren eigenen Ansprüchen an Bürgernähe und Bodenständigkeit nicht gerecht…
Ich bin keinesfalls ein Gemäßigter in der Sache, wohl aber ein Verfechter der Differenzierung. Und sie erlebe ich kaum, wenn ich als Teil der „Lügenpresse“ pauschal in einen Topf geworfen werde, als Sündenbock herhalten muss, weil man sich völlig zurecht auf die mediale Verantwortungslosigkeit des ÖRR eingeschossen hat. Doch wie soll es werden, wenn man einmal an den Schaltstellen in Berlin sitzt? Will man auch dort die Agenda der Pauschalisierung durchsetzen, sich im Prinzipiellen kompromisslos zeigen? Für mich ist dieser Anspruch des Absoluten unvereinbar mit meinen Werten des Brückenbaus. Ich möchte keine Gesellschaft, die weiter polarisiert und aufgestachelt wird. Die AfD hat sich in eine Sackgasse manövriert, wenn sie nahezu sektiererisch ihren Spitzenleuten huldigt, den fragenden Souverän als störend empfindet. Aus dem sachsen-anhaltinischen Landesverband erreichte mich vor kurzem eine E-Mail, dass man auf meine Stimme gut verzichten könne. Und das weiß ich sehr wohl, macht sie am 8. März einen Anteil von gerade einmal 0,00002 Prozentpunkten aus. Doch stößt man auch andere Unterstützer derart vor den Kopf, könnte der Kollateralschaden durchaus größer werden. Vielleicht möchte man sich also noch einmal besinnen, ob man den Kurs der Arroganz beibehält?







