Quelle: Clipdealer.de, B796365980, erworbene Standardlizenz.

Wie die Jungfrau zum Kinde: Die AfD hat die Führungsrolle übernommen, ohne sich inhaltlich für den „Ernstfall“ vorzubereiten!

Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Merz’ Werte rauschen in den Keller: AfD klettert in Umfrage auf 26 Prozent – und liegt vor der Union“ (aus: „Tagesspiegel“ vom 12.08.2025)

Der Jubel der AfD ist groß. Zum ersten Mal zieht sie mit einem erkennbaren Abstand an der Union vorbei und belegt im neuesten RTL-/ntv-Trendbarometer eindeutig den ersten Platz. Mit 26 Prozent ist es mittlerweile gut ein Viertel der Wähler, die sich für die kritische Opposition auf dem Stimmzettel aussprechen würde. In den sozialen Medien feiern Funktionäre und Vertreter diese jüngsten Umfragewerte bereits als Wende, gestehen aber in vielen ihrer Beiträge auch ganz offenkundig ein, dass man diese Unterstützung aus der Bevölkerung wohl nicht erreicht hätte, würden weder CDU noch CSU derart kläglich an unserer Republik und ihren Problemen scheitern. Man bedankt sich für die Schützenhilfe von Friedrich Merz und Markus Söder, reitet auf einer Welle der Euphorie vor allem deshalb, weil es keinen besseren Bärendienst gibt als das Versagen des etablierten Kartells mit Blick auf die wesentlichen Herausforderungen der hiesigen Gesellschaft. Der Kanzler befasst sich vor allem mit der Ukraine und Israel, tourt durch die gesamte Welt, trifft einen Gast nach dem nächsten, um weiterhin keinen Anhalt zu liefern, dass sich seine Koalition ernsthaft, glaubwürdig und zeitnah an Rente, Bürgergeld, Krankenversicherung, Wirtschaftsbelebung oder Sicherheit wagen wird.

Die AfD reitet auf der Welle des Scheiterns von Friedrich Merz und Lars Klingbeil

Bis zum Sommer hätten wir spüren sollen, dass sich etwas verändert. So versprach es der Sauerländer, um seine Ankündigung genauso brechen zu müssen wie manch ein Prinzip zur Schuldenbremse, zur Steuerlast, zur Unterstützung von Jerusalem, zur konsequenten Remigration oder zu einer Abkehr von einem ökonomiefeindlichen Klimaschutz. Mit ihm wird man keinen Blumentopf mehr erringen können, erweist er sich schon jetzt als der größere Umfaller denn Olaf Scholz. Doch allein der Umstand, dass die Christdemokraten nicht liefern, sollte für die Alternative für Deutschland kein Grund sein, sich auf den Mängeln der Anderen auszuruhen. Statt den bloßen Selbstläufern zu vertrauen, mangelt es an inhaltlicher Konsistenz, an Sachvorschlägen und Konzepten über Abschiebung und Grenzkontrollen hinaus, die zumindest den Eindruck hinterlassen würden, die Blauen wären im Zweifel regierungsfähig. Denn dafür braucht es mehr als eine monothematische Ausrichtung, wenig aussagekräftige Memes auf X, mit künstlicher Intelligenz erstellte Beiträge, interne Querelen um Ausschlüsse und Austritte oder das Wissen darum, für die momentane Sympathie nicht aus eigener Kraft zuständig zu sein. Eigentlich müsste dieser bittere Beigeschmack des Erfolgs Anlass genug sein, endlich Farbe zu bekennen.

Wer sich jetzt schon feiert, hat sich möglicherweise zu früh gefreut!

Denn man kann sich die Ergebnisse der Demoskopen momentan weder auf die Fahnen schreiben, noch gibt es Grund für überschwängliche Freude. Immerhin fehlt es an einem tragfähigen Fundament, das im Falle von Machtübernahme nicht wie ein Soufflé in sich zusammenfällt, weil man über einen gewissen Personenkult und das Frönen der Schwäche seiner Konkurrenten kaum hinauskommt. Die schlichte Aussage „Schwarz-Rot kann es nicht“ erweist sich als gänzlich ungeeignet, dauerhaft und stabil ein Stammklientel aufzubauen, welches auch abseits von Populismus und Protest die Treue hält. Erst, wenn man sich sicher sein kann, dass Alice Weidel oder Tino Chrupalla mit individuellen Ideen und Lösungsansätzen glaubwürdige wie realistische Politik betreiben würden, lässt man sie erst einmal an die Schalthebel des Einflusses, ist viel gewonnen. Derzeit profitiert man wesentlich vom Unvermögen der ideologischen Wettbewerber, nicht aber aus Überzeugungsstärke dank solider und vielschichtiger Programmatik. Schon allein der Streit um Waffenlieferungen in den Nahen Osten macht deutlich, dass man auch nach über einem Jahrzehnt seit Gründung an vielen Stellen keine Geschlossenheit und Konkretheit gefunden hat, auf die man sich im Falle von Verantwortung berufen könnte.

Der Alternative für Deutschland fehlen spürbar Erfahrung, Inhalt und Vision!

Und so bleibt einigermaßen ungewiss, ob ausbleibende Übung, Routine und Professionalität bei Bedarf den Brei verderben würden, gibt es an diversen Stellen Nachholbedarf für die erwachsen gewordene Partei. Die Außenkommunikation erweist sich nicht selten als desaströs, denkt man an das Auftreten der beiden Co-Chefs anlässlich eines bekannt gewordenen Papiers über die Streichung der Leitkultur. Oder an die häufig wahrgenommene Hybris und Arroganz, mit der Repräsentanten nicht etwa jene Bodenständigkeit verkörpern, für die man doch eigentlich einstehen möchte. Sondern es ist ein teils elitäres Gebaren, wenn sich die Vorsitzenden üppige Diäten gönnen, um den Staat doch eigentlich verschlanken zu wollen, die auch dann im Hinterkopf bleiben, scheint man die einzige Option zu sein, die sich mit Klarheit vom bisherigen System distanziert. Es ist also keinesfalls die zwingende Entschiedenheit des Souveräns, die hinter dem Aufwind steckt, sondern oftmals die alleinig verbliebene Möglichkeit, um Unmut Ausdruck zu verleihen, setzt man sein Kreuz bei jenen, die sich leider schnell in die Opferrolle zurückziehen. Selbstbewusstsein ist ein entscheidender Faktor. Doch er sollte auf Substanz und Stärke basieren, nicht auf Unfertigkeit der Gegner.