Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „‚Voraussetzungen fehlen‘: Kretschmer lehnt deutsche Soldaten in der Ukraine ab“ (aus: „ntv“ vom 20.08.2025)
Noch nicht einmal offiziell aus der eigentlich so verpönten Sommerpause zurückgekehrt, steht die ohnehin massiv angeschlagene Regierung in Berlin vor ihrer nächsten Bewährungsprobe. Soll Deutschland im Falle eines Waffenstillstandes friedensichernde Truppen in die Ukraine schicken? Die Bevölkerung ist hinsichtlich dieser Frage laut einer Insa-Umfrage vom 20. August 2025 für das Nachrichtenportal NiUS einigermaßen unmissverständlich eingestellt. Immerhin lehnen demnach 56 % der Befragten eine Beteiligung der Bundeswehr an einer solchen Mission strikt und konsequent ab. Nur 28% befürworten sie, während 16 % keine Angabe machten oder mit „Ist mir egal“ antworteten. Dabei hatte doch Friedrich Merz bereits zaghaft in Aussicht gestellt, dass er hiesige Soldaten für eine solche Operation bereitstellen würde, agiert er in vorauseilendem Gehorsam aber augenscheinlich erneut gegen den Willen der eigenen Bürger. Und tatsächlich hat das Thema ernstzunehmendes Potenzial, für weiteren Sprengstoff in der polarisierten Gesellschaft einerseits, aber auch in der zerrütteten Koalition andererseits zu sorgen.
Werden sich die Sozialdemokraten auf die Genese Willy Brandts zurückbesinnen?
Denn insbesondere die SPD dürfte vor allem an der Basis und mit ihrer Jugend hadern, die Armee zum erneuten Mal im Ausland unsere Freiheit und Sicherheit verteidigen zu lassen, wiegen doch die wenig glorreichen Erfahrungen aus Afghanistan, Mali, dem Irak, dem Südsudan oder dem Horn von Afrika noch immer schwer. Ebenso wird die Opposition eine bedeutsame Rolle in der Debatte spielen, ist man sowohl in der AfD wie auch beim BSW mit einer klaren Haltung angetreten. Tino Chrupalla positioniert sich mit Vehemenz, lassen wir uns im Zweifel weiter in einen Konflikt hineinziehen, von dem nicht wenige kritische Beobachter behaupten, er sei für uns genauso relevant wie damals der Krieg am Hindukusch. Sahra Wagenknecht steht sämtlichen Maßnahmen der Militarisierung widersprechend gegenüber, könnte sie gerade im Ostendurch die Diskussion vor wichtigen Wahlen Stimmen gewinnen. Und der Kanzler muss befürchten, dass ihn angesichts seines außenpolitischen Engagements mehr denn je der Vorwurf erreicht, sich um sämtliche Belange in der Welt zu kümmern, aber nicht um unsere Renten, die innere Sicherheit oder das Migrationsproblem.
Welches deutsche Interesse gilt es in Luhansk und Donezk zu bewahren?
Denn man dürfte sich tatsächlich nur dann für ein Aussenden schwarz-rot-golden beflaggter Infanterie in namhafter Stellung aussprechen, geht man weiterhin davon aus, Kiew sei der Rächer unserer westlichen und liberalen Ordnung, der Moskau im Namen der NATO die Stirn bietet. Doch blickt man auf die Begründungen für den Überfall Russlands, so geht es im Kern doch um sehr regional begrenzte Kämpfe hinsichtlich bestimmter Territorien im Donbass, auf die Putin in Gesprächen mit Trump Anspruch erhob. Für die Erzählung, dass der Kreml spätestens 2029 auch einen Vorstoß auf EU-Gebiet wagt oder mit seinen Panzern gar kurz vor dem Brandenburger Tor stehen wird, gibt es bislang ebenso wenig Beweise wie für die Theorie, dass Selenskyj ein unentbehrlicher Puffer zwischen den Großmächten sei. Es scheint eine obsessive wie reflexartige Position unserer Republik zu sein, sich möglicherweise auch aufgrund der Geschichte delegierend und moderierend in sämtliche Brandherde einzumischen, fungieren wir am Ende aber gerade nicht als Diplomaten, Vermittler oder Brückenbauer, sondern im Weißen Haus als Bremsklotz für schnelle Lösungen.
Die Bürger wollen unsere Bundeswehr nicht schon wieder im Ausland sehen!
Mit seinen Interventionen gegenüber dem US-Präsidenten beim Gipfel vom 18. August 2025 sorgte der CDU-Chef nicht nur bei seiner italienischen Amtskollegin für Augenrollen. Die Europäer sind ganz prinzipiell außen vor, läuft das wesentliche Geschehen auf einer Ebene ab, die weder Ursula von der Leyen noch ein Jurist aus dem Sauerland maßgeblich beeinflussen können. Und so taugen wir im Zweifel nur für ein fortgesetztes Schröpfen der Steuerzahler. Als personeller, materieller und finanzieller Geber, der nichts zu sagen hat, aber blechen kann. Bei all der schwer begreiflichen Naivität und Gutgläubigkeit, mit der wir einen sogenannten „Partner“ im Osten durch den in Kasernenbeständen noch letzten, auffindbaren Helm unterstützen, hängen wir auch künftig am oberen Ende des Tropfs, der nicht nur für den Wiederaufbau des zerstörten Nachbarn sorgt. Sondern schon weit davor neue Milliarden aufbringen wird, um einen Status Quo einzufrieren, der für uns wohl deshalb keinen besonderen Mehrwert hat, weil nur der Wagemutigste behaupten würde, dass zwischen Wolga und Sibirien schon an der Eröffnung der nächsten Front gearbeitet wird.