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Das Selbstmitleid eines Kanzlers: Wie Friedrich Merz die Vergangenheit relativiert, um sich mit Adenauers Kraftakt von 1949 messen zu können!

Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Wirres Interview in der FAZ: Merz glaubt, er hat es schwerer als Kanzler Adenauer 1949“ (aus: NIUS vom 17.10.2025)

In diesen Tagen sind viele Politiker um geschichtliche Vergleiche wenig verlegen, insbesondere zur „Nazi“-Zeit. Und auch der Bundeskanzler schreckt vor einer historischen Parallele nicht zurück. In einem einigermaßen befremdlich anmutenden Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ behauptet er, in einer schwierigeren Position zu sein als Konrad Adenauer 1949. Doch was ist dran an dieser Aussage, stellt sie mehr dar als eine bloße Dramatisierung der eigenen Ausgangslage, um Empathie und Nachsicht bei der Bevölkerung zu erhaschen? Nicht nur Experten sind sich einig darüber, dass der CDU-Vorsitzende mit seinem Vergangenheitsrevisionismus klare Linien überschritten hat. Denn in nahezu keinerlei Aspekt lässt sich eine Analogie herstellen. Die wirtschaftliche Situation nach dem Ende des Dritten Reiches war verheerend. Keine stabile Währung, eine Hungersnot, der prosperierende Schwarzmarkt und bis zu 10 Millionen Arbeitslose standen der Leistung von unzähligen Frauen gegenüber, die für frischen Wohlstand rund 400 Millionen Kubikmeter Schutt beiseite räumten.

Bei Merz vs. Adenauer geht es um mehr als Äpfel und Birnen…

Der Teilungszustand der Republik und das Besatzungsstatut mit fehlender Souveränität bis 1955 machten ein autonomes Regieren nahezu unmöglich. Es gab keine tragfähigen und belastbaren Koalitionen, schließlich war man sich zwischen den Parteien lediglich in der Frage einer dezidiert antikommunistischen Leitlinie einig, musste aber bereits mit der FDP als einer innerlich gespaltenen Kraft zurande kommen. Der frühere Kabinettschef wurde lediglich mit einer Stimme Mehrheit gewählt, man war mit 12 Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen konfrontiert. Das Trauma des NS-Regimes waberte fortwährend, Kriegsgefangene mussten integriert werden. Bis hinein in die 50er wurden Lebensmittel rationiert, international waren wir isoliert durch die Schuld für das Hitler-Regime. Das Ost-West-Gefälle nahm an Fahrt auf, die Siegermächte standen sich zunehmend feindlich gegenüber. Entsprechend betonte Adenauer die Dramatik einigermaßen unverhohlen und klar: „Aus Trümmern, aus Not, aus Elend müssen wir ein neues Deutschland aufbauen“.

Vergleiche mit einer singulären Geschichte müssen fast immer hinken…

Will sich sieben Jahrzehnte später tatsächlich ein Christdemokrat auf die gleiche Stufe stellen, der zweifelsohne vor einer Fülle an Problemen steht, aber weitaus weniger heldenhaft daherkommt? Wir haben mit etwa 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hohe Schulden, aber gleichsam mit dem Euro klare Verhältnisse auf den Finanzmärkten. Die Arbeitslosigkeit liegt bei etwa fünf Prozent, eine durch den Ukraine-Konflikt ausgelöste Energiekrise steht der selbst verursachten Rezession durch das Transformieren in eine ökosozialistische Klimadiktatur gegenüber. Dass die AfD mit 27 Prozent die Umfragen dominiert, ist kein Ausdruck des Schicksals, sondern Resultat des Versagens. Zuwanderer sind nicht rückkehrende Einheimische, sondern durch Sogeffekte angelockte Migranten sämtlicher Hemisphären, resultierend aus der Agenda einer Amtsvorgängerin Merkel, die noch immer davon überzeugt scheint, dass wir ihren Tabubruch meisterlich verkraftet hätten. Die Unzufriedenheit mit einem Sauerländer rührt insofern auch aus seinem Selbstmitleid.

Mehr als Krokodilstränen können für diesen Kanzler nicht übrig bleiben…

Er stellt sich als das Opfer der Opposition dar, dabei sind die desaströsen Zustimmungswerte unter anderem auf wiederkehrend gebrochenen Wahlversprechen begründet. Nicht nur das voreilige Lockern der Schuldenbremse unter Mitwirkung ideologischer Feinde zur Erlangung persönlicher Macht wird ihm weiterhin übelgenommen. Auch ein Umkippen beim Heizungsgesetz und der Minimalerfolg von Grenzkontrollen als Tropfen auf den heißen Stein kommen an seiner Basis schlecht an. Die Einsparungen beim Bürgergeld bleiben entgegen völlig divergierender Ankündigungen winzig. Der 69-Jährige wirkt für viele Menschen wie ein Außenminister, der sich um sämtliche Krisenherde der Welt, aber nur in einem Nebensatz um das Stadtbild hierzulande kümmert. Seine teils als widersprüchlich und arrogant wahrgenommene Kommunikation macht ihn zu einer unnahbaren Charakterlichkeit, der es im Gegensatz zu Adenauer an Reflexion, Eingeständnis und Authentizität mangelt. Der Multimillionär verbreitet wahrlich keine Hoffnung, verweigert stattdessen die Realitäten, indem er die Brandmauer gegen Teile des Volkes immer weiter erhöht. Und jedes neu aufgefahrene Äquivalent lässt ihn noch hilfloser zurück.