Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Nach Urteil in Warschau: Polen lässt mutmaßlichen Nord-Stream-Saboteur frei“ (aus: „Deutsche Welle“ vom 17.10.2025)
Wozu brauchst du Feinde, wenn du Polen als Freund hast? Nach der Entscheidung des Warschauer Bezirksgerichts vom 17. Oktober 2025, die Auslieferung des ukrainischen Staatsbürgers Wolodymyr Z. an die Bundesrepublik abzulehnen, hängt nicht nur der diplomatische Segen zwischen zwei Ländern schief. Dem Beschuldigten war vorgeworfen worden, im September 2022 mehrere Sprengsätze an den Nord-Stream-2-Pipelines montiert und zur Explosion gebracht zu haben, was in der Folge die Energieversorgung in Richtung Westen unterbrach. Der Taucher und Unternehmer war Ende September aufgrund eines europäischen Haftbefehls festgenommen worden, den die hiesige Generalstaatsanwaltschaft beim BGH aufgrund des Vorwurfs verfassungsfeindlicher Umtriebe ausstellte. Mit der Entscheidung wurde nicht nur die Untersuchungshaft aufgehoben und der Verdächtige auf freien Fuß gesetzt, sondern das deutsche Anliegen als „keiner Berücksichtigung wert“ eingeordnet.
Polen fährt aktuell einen Rundumschlag gegen seinen Nachbarn, der brüskieren muss!
Was bei unseren Nachbarn als Ausdruck von nationaler Souveränität und moralischer Priorität gefeiert wird, erweist sich in der Sache als eine politisch motivierte Juristerei. Premierminister Donald Tusk, der das Gesuch aus Karlsruhe als „nicht im Interesse von Anstand und Gerechtigkeit“ bezeichnete, kritisierte auch in der Vergangenheit die „geopolitische Fehlentscheidung“ Berlins, sich mit Gaslieferungen aus Russland abhängig gemacht und dabei Partner untergraben zu haben. Außenminister Wadephul zeigte zwar Respekt vor der Gewaltenteilung und deren Urteilsfindung, verwies jedoch auf gravierende Folgen für die bilateralen Beziehungen. Ähnlich äußerte sich auch der ungarische Amtskollege Péter Szijjártó, welcher von „skandalösen Vorgängen“ sprach, „Terroristen“ gewähren zu lassen. Die weitere Aufklärung der Ereignisse von vor drei Jahren wird massiv erschwert, mögliche Hintermänner aus der Ukraine bleiben in der Folge für ihren Akt der Diversion wohl unbelangt.
Der Beschluss kommt in ohnehin schwierigen Zeiten, hatte doch jüngst erst der Sejm-Abgeordneten Dariusz Matecki von der nationalkonservativen PiS-Partei Deutsche als „Abschaum“ bezeichnet, denen „kein eigener Staat zusteht“. Überdies stehen Reparationsforderungen von 1,32 Billionen Euro im Raum, die für materielle Zerstörung, wirtschaftliche Verluste, kulturelle Schäden und menschliche Opfer durch die Besatzungszeit entstanden seien. Ohne Kenntnis bleiben dabei die Ergebnisse der Potsdamer Konferenz aus 1945 und des Zwei-plus-Vier-Vertrags von 1990, die diese Frage bereits abschließend geklärt hatten. Entsprechend lehnen bei uns 70 % der Bevölkerung gleichlautende Ansprüche ab. Auf der anderen Seite wird mit dem Völkerrecht argumentiert, dass der Verzicht Polens auf Wiedergutmachung unter sowjetischem Druck zustande gekommen sei und lediglich die DDR betroffen habe. Diese Sichtweise wird jedoch weder von den USA noch der EU geteilt.
Deutschlands Reparation ist rechtlich abgeschlossen – und auch moralisch längst verjährt…
Deutschland hat bereits erhebliche Summen investiert, allein 4,1 Milliarden Euro an Zwangsarbeiter über die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Blickt man auf die Historie, so war Polen tatsächlich das erste Opfer des Zweiten Weltkriegs, das durch das Hitler-Regime überfallen wurde, um als Volk in der Identität ausgelöscht zu werden. In der Konsequenz verlor man 43 Prozent des ursprünglichen Territoriums im Osten an die UdSSR, erhielt ehemals deutsche Gebiete wie Schlesien und Pommern. Ebenso hatten auch wir 25 Prozent unseres einstigen Staatsgebietes abzugeben, wurden in vier Zonen geteilt. Etwa 13 Millionen Bürger waren als Vertriebene auf der Flucht – darunter etwa sieben Millionen von polnischem Boden aus -, bis zu 1,5 Millionen starben an Hunger, Gewalt oder Krankheit. Dem gegenüber stehen sechs Millionen Tote, die Warschau zu beklagen hatte, zwei Millionen Menschen wurden zu mörderisch-barbarischer Zwangsarbeit in den unterschiedlichsten Lagern verpflichtet.
Die Metropole war zu 85 Prozent nach dem Aufstand von 1944 dem Erdboden gleichgemacht worden. Straßen, Fabriken und Eisenbahnen wurden zu 35 Prozent ruiniert. 40 Prozent des nationalen Vermögens gingen abhanden, die Rückentwicklung von Industrie und Landwirtschaft war immens. Der Genozid an der jüdischen Einwohnerschaft, das systematische Eliminieren von Erinnerung und Intelligenz, bleibt unvergleichbar dramatisch und in seinem Ausmaß singulär. Da gibt es nichts aufzuwiegen, die rechtliche Aufarbeitung scheint dennoch abgeschlossen. In der Sache sollte die Mahnung dominieren, beide Perspektiven haben ihre Berechtigung. Geschichte darf sich nicht wiederholen, sie sollte aber gleichsam kein Ausgangspunkt für Revisionismus oder Spaltung sein. Immerhin ist die errungene Einheit Europas sodann in Gefahr, wird die Rivalität angeheizt von Ressentiments und Rachegelüsten, die uns alle in Phasen neuerlicher Herausforderung durch gegenwärtige Spannungen nur schwächen können.







