Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Gesellschaft: Hendrik Streeck stellt teure Medikamente für alte Menschen infrage“ (aus: NiUS vom 12.11.2025)
War die Aussage von Hendrik Streeck blanker Zynismus – oder steckte in ihr ein Fünkchen Wahrheit? In der Talksendung „Meinungsfreiheit“ auf „Welt TV“ äußerte der Drogenbeauftragte der Bundesregierung im Zusammenhang mit Einsparmaßnahmen im Gesundheitssystem, dass es „Phasen im Leben [gibt], wo man bestimmte Medikamente auch nicht mehr einfach so benutzen sollte“. Er bezog sich dabei vor allem auf die Erfahrung mit seinem eigenen Vater, der im Alter von 100 bei fortgeschrittener Krebserkrankung ein Präparat erhielt, bei dessen Einnahme eine Sterblichkeitsreduktion von zehn Prozent prognostiziert wurde, es am Ende aber „doch nichts gebracht hat“. Nimmt der CDU-Politiker Älteren damit die Menschenwürde – oder verweist er lediglich auf das Wirtschaftlichkeitsprinzip, das auch für unsere Krankenkassen gilt, um die Solidargemeinschaft nicht über Gebühr zu belasten? In zahlreichen Berichterstattungen wird der Kontext seiner Sätze ausgelassen, sodass die verkürzte Wortwahl wie eine Relativierung von Artikel 1 des Grundgesetzes wirken könnte. Die Empörung ist riesig, manche Erwiderung reflexartig, aber in der Sache ohne jegliche Differenzierung.
Streeck hat sehr banal formuliert, um den Eindruck der Altersdiskriminierung zu erwecken…
Der Kern der Debatte berührt nämlich gleich mehrere ethische Aspekte, die in der argumentativen Auseinandersetzung des erwähnten Formats wahrscheinlich zu kurz gekommen sind. Um es von Anfang an klarzustellen: Ein Hochbetagter ist nicht weniger wert als ein Baby. Diese verfassungsmäßige Überzeugung macht uns gerade mit Blick auf die Geschichte aus. Doch die Gedanken des 48-Jährigen gehen zunächst einmal in eine gänzlich andere Richtung. Neigen wir in einer Gesellschaft, die Forschung und Fortschritt in der transhumanistischen Annahme, der Tod lasse sich durch moderne Mittel immer weiter hinauszögern und möglicherweise künftig komplett verhindern, zum Ausprobieren am physiologischen Objekt? Machen wir Patienten zu oft zu einem Versuchskaninchen, missbrauchen wir sie für ein Testlabor, wollen wir Natur und Evolution in einer gewissen Anmaßung überwinden? Akzeptieren wir den Gang der Dinge zu wenig, möchten nicht hinnehmen, dass wir uns dem Lauf der Zeit irgendwann geschlagen geben müssen? Schmähen den Abschied und das Loslassen? Wie so oft, nähert man sich einer möglichen Lösung am ehesten über die sogenannte Einzelfallabwägung.
Die Debatte dreht sich auch darum, ob wir Lebensverlängerung stets als Mehrwert begreifen…
Ist das Individuum bereit, sich auf eine mögliche Verlängerung des Bangens, Haderns und Durchhaltens einzulassen, um anschließend noch ein paar Jahre bleiben zu dürfen? Das Prinzip muss gelten: Ist der Betroffene in einem Zustand, eigenmächtig darüber entscheiden zu können, ob er sich manch Schmerz, Übel und Kreuz noch einmal antun möchte, sollte ihm der Anspruch gewährt werden, falls er sich im Zweifel auch auf eine Odyssee macht, die am Ende wahrscheinlich weniger ihm selbst, aber der Erkenntnis der Wissenschaft hilft. Und auch, wenn es in dieser Diskussion ungern gehört wird, bleibt für eine solche Konstellation die Kosten-Nutzen-Rechnung schon allein deshalb von Bedeutung, weil auch Ärzte dazu angehalten sind, Leiden in jeglicher Hinsicht so gut wie möglich zu minimieren. Es steht also keinesfalls die Überlegung im Mittelpunkt, wir würden einem Greis die Chance auf Heilung nicht gönnen. Sondern die rationale Herangehensweise betrachtet abseits der monetären Bilanz die Abschätzung zwischen dem möglichen Zugewinn an Daseinsqualität und dem Risiko des Versagens einer Behandlung, unter Einkalkulierung von Qual und Pein.
Die alleinige Verfügbarkeit von Medikamenten begründet noch nicht ihren sinnvollen Einsatz!
Denn nicht jede Therapie ist deshalb angezeigt, weil sie nun einmal verfügbar sind. Die Gefahr kann kaum jemand von der Hand weisen, dass auch die Pharmaindustrie in einer technologisierten Atmosphäre dem Reiz, etwas auf den Versuch ankommen zu lassen, unter der Garantie von finanziellem Profit erliegt. Im Zentrum der Reflexion geht es ausschließlich um den Willen und das durch unabhängige Meinungen bestätigte Potenzial für ein besseres Wohlergehen desjenigen, der gut beraten sein sollte. Ihm dürfen nicht etwa aus unternehmerischen wie kalkulatorischen Gründen Annahmen vorenthalten, Voraussagen beschönigt werden. Gleichzeitig braucht es Fairness, keine Versprechungen abzugeben, die objektiv nicht haltbar wären. Die ehrliche Abschätzung von Verhältnismäßigkeit kann weder die Politik noch der Markt diktieren. Sie muss im Ermessensspielraum der zuständigen Mediziner bleiben. Wir sollten auf anderen Wegen zu einer Senkung der Ausgabenlast kommen als durch das Berechnen von Wahrscheinlichkeiten. Ein Ansetzen an den Preisen von häufig in der Bundesrepublik deutlich überteuerten Wirkstoffen wäre hierbei vorrangig, sinnvoll und populär.







