Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „‚Wir sind auch froh über Ihre Abreise‘: Brasilianer fluten soziale Medien von Kanzler Merz“ (aus: „Tagesspiegel“ vom 21.11.2025)
Welche Eigenschaften sollte ein Politiker im Allgemeinen, ein Bundeskanzler im Speziellen mitbringen? Um diese Frage zu beantworten, sollte man in diesen Tagen vielleicht nach Brasilien hören. Denn Friedrich Merz erfüllte bei der Klimakonferenz sämtliche Klischees, die man mit Blick auf einen Regierungschef in sich hegen kann. In einem Anfall der Arroganz berichtete er später auf einem Handelskongress in Berlin, wie froh er gewesen sei, aus der Region Belém zurück nach Deutschland zu kehren. Bereits vor Ort fiel er durch seine augenscheinliche Unzufriedenheit mit den Zuständen und Problemen vor Ort auf, verweigerte sich gänzlich eines offenherzigen Zugangs auf die südamerikanische Bevölkerung, um imperialistische Muster zu bedienen. Das Belehren von oben herab, es zieht sich durch die gesamte Karriere des Sauerländers. Erst jüngst ging er auf Konfrontation zur Jungen Union, warf der eigenen Basis Destruktivismus vor. Seine Fraktion brachte er mit herabwürdigenden Worten des „nicht Mitmachens“ ebenfalls gegen sich auf, immer wieder präsentiert der Hüne eine gewisse Impulsdurchbrüchigkeit in wiederkehrenden Äußerungen, Denkart und Verhaltensweisen.
Der Kanzler wird seinen elitären Schein nicht los, schwankt er von Hochmut in den Fall…
Oftmals störrisch und trotzig reagiert er darauf, für seine Einzigartigkeit nicht hinreichend gepriesen zu werden, überdauert vielleicht sogar Robert Habeck mit dessen Konterfei auf Münchner Denkmälern. Seinen Kritikern hört er ungern zu, sondern fällt ihnen ins Wort. Seinen elitären Status als Millionär verteidigt er paternalistisch, degradiert Akteure neben ihm despektierlich und dekadent. Sein Streben nach Macht prägt die kurvenreiche Lebensbiografie, seine durchaus rhetorischen wie intellektuellen Fähigkeiten werden durch eine distanzierte und polarisierende Aura in den Hintergrund gedrängt. Die wirtschaftsnahen, lobbyistischen und durch frühere Aufsichtsratstätigkeiten geprägten Sichtweisen hinterlassen einen teils kaltschnäuzigen Anschein, wenn sie sich mit mangelnder Empathie und schneidendem Kränkungsbewusstsein paaren. Bisweilen unnahbar und populistisch, manchmal sogar polemisch und autoritär daherkommend, dominiert der CDU-Mann Debatten argumentativ überlegen, aber charakterlich herablassend. Er behauptet von sich, die „Welt da draußen“ zu kennen – und zu wissen, „wie sie tickt“. Bis zur egomanischen Glorifizierung ist es dann nicht mehr weit.
Ein überaus ambivalenter Charakter, der Empathie und Verbindlichkeit Macht nachordnet…
Sprunghaftigkeit und die Bereitschaft, für Einfluss Profil, Identität und Überzeugungen zu opfern, sind wahrlich kein gutes Aushängeschild für den 70-Jährigen, der sogar in den Augen vieler Wähler schon allein deshalb als unzuverlässig gilt, weil kaum ein Vorgänger so wenige Versprechungen eingehalten hat wie er. Empfindlichkeit gegenüber Häme, provokative Gebaren führen letztlich auch zu internationalen Blamagen. Niederlagen versteinern ihn, seine Mimik wirkt nahezu affektiv. Der Familienvater will sich Makel nicht ins Gesicht schreiben lassen, verliert den Bezug zur Realität, wenn er meint, es heute schwieriger zu haben als Konrad Adenauer nach dem Krieg. Das dynamische wie konfrontative Wesen trifft auf Schwierigkeiten in der strategischen Tiefe. Sein Kompass ist nicht klar, sondern ambivalent. Er riskiert innere Spaltungen und Vertrauensverluste, sein häufiges Zurückrudern beweist Abhängigkeit von Erfolgen. Der einstige Rechtsanwalt gelangt mit seiner heldenhaften Momentaufnahme in den Bereich der Kompromissunfähigkeit. Und nicht zuletzt entfremdet seine Wortbrüchigkeit vom Souverän, dem größten Pfund vor, während und nach der Karriere.







