Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Union und AfD im Europaparlament: Die Brüsseler Brandmauer“ (aus: „taz“ vom 20.10.2025)
Ursula von der Leyen ist weit weg, die EU scheint ohnehin in der Krise. Viele Menschen in Deutschland interessiert kaum, was sich da in Brüssel abspielt. Zu abgehoben, ist die Kommission bekannt für Regulierung und Gängelung, hat den einstigen Mehrwert einer Wirtschafts- und Werteunion längst verspielt. Und auch das Europäische Parlament nehmen die Bürger als ein ziemlich behäbiges Konstrukt wahr, über dessen Besetzung man zwar abgestimmt hat, aber das sich gleichermaßen als distanziert gibt gegenüber dem Souverän. Wenngleich bis zu drei Viertel der Gesetze, die auf nationaler Ebene beschlossen werden, ihren Ursprung in der belgischen Hauptstadt oder dem Zweitsitz Straßburg haben, könnte die Distanz zwischen den Menschen und den dortigen Volksvertretern fast nicht größer sein. Und so fragt man sich auch, was denn eigentlich die Fraktion „Europe of Sovereign Nations“ (ESN) ausmacht, deren Präsident der AfD-Politiker René Aust ist? Man hört wenig von ihr, vernimmt nur selten namhafte Schlagzeilen. Liegt diese Stille nur an der Isolation innerhalb des rechten Lagers, wurde die Alternative für Deutschland im Mai 2024 aus der Gruppe „Identität und Demokratie“ ausgeschlossen, weil sie „radikaler galt als die Radikalen“? Oder gibt es andere Gründe, die sie abgegrenzt dastehen lässt?
Aust hängt nach seinem Einspringen für Krah und Bystron das Prädikat des Verräters an…
Sie ist zur dritten Geige verkommen, obwohl es gleichzeitig äußerst engagierte Parlamentarier wie Christine Anderson sind, die mit vorbildhafter Präsenz, Augenhöhe und Rückgrat ein überaus erfolgreiches Bild abgibt, bringt sie Tatkraft, Mühe und Sorgfalt ein. Das Team der „Blauen“ beeinflusste die Debatte zu Migration und Energie erheblich, letztendlich wurde auch die CDU gezwungen, aufgrund der argumentativen Überzeugungskraft die Brandmauer einzureißen. Hohe Umfragewerte kollidieren trotzdem mit starken Kontroversen, immer wieder wird Russlandnähe diskutiert. Aust selbst scheint bei einigen Medien in Ungnade gefallen, bleibt die Berichterstattung über ihn äußerst dürftig. Auch bei mir ist sein Auftreten noch bildhaft in Erinnerung geblieben, warf er mir journalistische Unprofessionalität vor, hatte ich zu wohlwollend über ihn kommentiert. Der einstige Landtagsabgeordnete aus Thüringen hat sich nicht besonders geschickt angestellt im Umgang mit Multiplikatoren, wirkt er bisweilen unnahbar und distanziert, wenig zugänglich für positive Kritik. Intern soll es Zweifel an seiner Führungsstärke geben, obwohl er Durchsetzungskraft nach den Skandalen um Maximilian Krah und Petr Bystron zeigte, den Wahlkampf für seine Partei durch rasches Einspringen und couragierten Ersatz rettete.
Die AfD in Brüssel geht nicht zuletzt aufgrund ihrer Selbstisolation medial unter…
Die zweite Seite der Medaille ist geprägt vom Vorwurf des Verräters, hat er durch die Übernahme der Delegationsleitung nicht wenige Konkurrenten vor den Kopf und den sinnbildlichen Dolch in den Rücken gestoßen. Insgesamt steht auch er unter dem immergleichen Anwurf, es sich in seiner Position gemütlich gemacht zu haben, wenig nachhaltig Bürgerinteressen zu vertreten. Der 38-Jährige ist zwar nicht durch Affären aufgefallen, bleibt in der öffentlichen Wahrnehmung vielleicht auch deshalb einigermaßen blass. Er polarisiert kaum, gibt sich für manch einen Geschmack allerdings zu aalglatt. Dabei wäre es so wichtig, Inhalte nach Deutschland zu transportieren, ist das Vertrauen in die europäischen Institutionen auf einem Tiefpunkt angelangt. Bisweilen sagt man ihm Schnippigkeit nach, auch das Wort „Hochmut“ macht die Runde. Eine Gemengelage, die jene nicht durchdringen lässt, die sich auf sachlicher Ebene Erfolg und Ansehen erarbeitet haben. Dass der Lüdinghausener andeutete, ich sei zu kumpelhaft unterwegs, geschenkt. Ob seine Reserviertheit, das Misstrauen und die Abweisung zum Schluss die Wahrnehmung von Arroganz unterstreichen, das Paradoxon bekräftigen, sich über fehlendes Rampenlicht zu beklagen, aber gleichzeitig Publizisten zu schelten, möge dahingestellt bleiben.







