Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Wehr-Experten empört: Chrupallas Lanz-Auftritt schockiert Parteifreunde“ (aus: „n-tv“ vom 13.11.2025)
„Mir persönlich hat Putin nichts getan“ – so sagte es Tino Chrupalla am 11. November 2025 in der journalistisch hoch manipulativ wirkenden Sendung von Markus Lanz, um eine heftige Diskussion darüber auszulösen, wie eng die Verbindungen der AfD nach Moskau sind. Doch entfernt man sich von der reflexartigen Empörung, muss man dem Zitat beimessen, dass es in der Sache von den allermeisten Bürgern unterschrieben werden könnte. Denn tatsächlich finden die Kriegshandlungen zwischen Russland und der Ukraine statt. Es entspricht lediglich dem westlichen Narrativ, mit dem Überfall auf Kiew wäre ganz Europa angegriffen worden. Der Co-Chef der Alternative für Deutschland hat schlichtweg eine Tatsache auf den Punkt gebracht, aus der man nur in äußerst böswilliger Interpretation herauslesen könnte, er relativiere die Schuld des Kremls für das brutale Vorgehen gegen den Nachbarn. Denn auch wenn uns bereits Annalena Baerbock in den Konflikt hineingeredet hat, sind wir offiziell kein Beteiligter. Wir mögen uns aus sittlichen Gründen solidarisieren, wenn wir von der Annahme ausgehen, hier werde stellvertretend für die NATO eine Schlacht ausgefochten, die wir zumindest monetär und materiell unterstützen.
Die Frage der Ost-West-Ausrichtung hat das Programm durch Neutralität beantwortet…
Es ist eine legitime wie notwendige Auseinandersetzung, welche Rolle die Bundesrepublik einnehmen soll. Und ob wir aus Tugend und Moral tatsächlich jegliche Gesprächskanäle abreißen müssen, weil sich über den Kontinent hinweg eine gewisse Wehrtüchtigkeit entwickelt, die ausgerechnet zu einem Moment aufkeimt, als die Rüstungsindustrie entdeckt hat, wie sehr man doch von Feindschaft profitieren kann. Das Provozieren und Eskalieren geht weiter, auch Friedrich Merz übt sich darin. Statt den Außenminister Brücken bauen zu lassen, versteigt man sich in größtmöglicher Einseitigkeit. Doch der Anschlag auf die Pipelines von Nord Stream 2 waren offenbar nicht aus dem fernen Osten diktiert worden. Viel eher sollen die Saboteure Verbindungen zu Selenskyjs Dunstkreis gehabt haben. Wer ist nun also unser Rivale, wenn auch mit Blick auf die vermeintlichen Drohnenangriffe auf unsere Flughäfen bisher keine eindeutige Urheberschaft ausgemacht werden konnte? Dass der russische Präsident dank unterwürfiger Presse in unseren Breiten Propaganda verbreite, ist eine Prämisse mit so vielen Variablen, dass man gleichsam darauf verweisen könnte, wie sehr wir uns abhängig gemacht haben von einer Perspektive der Ukraine.
Man mag Chrupalla wenig Taktgefühl in der Rhetorik vorwerfen, seine Wortwahl klingt oft simpel. Sie vereinfacht manche Dinge, die sich komplexer darstellen. Gleichsam bleibt überraschend und erstaunlich, zu welcher Reaktion seine Einlassungen auch intern geführt haben. Angeblich soll es riesigen Zoff mit Alice Weidel geben, die auch mit Blick auf eine Reise von mehreren Abgeordneten nach Sotschi „nicht verstehen“ konnte, „was man da eigentlich soll“. Sie verweist auf Realpolitik, will nicht länger den Eindruck gelten lassen, man sei „die fünfte Kolonne Moskaus“. Geht es möglicherweise um eine Trennlinie zwischen Verbänden in den alten und neuen Bundesländern, geben sich auch die Wähler und Unterstützer von Sachsen über Thüringen bis Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern prinzipiell friedliebender als die Anhänger in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein. Jedenfalls war es vor allem ein Rüffel für fehlende Professionalität und Präzision, den sich der 50-Jährige einhandelte. Da wurde von „unglücklichen Formulierungen“ gesprochen, indirekt auch von einer gewissen Unbedarftheit und mangelnden Routine des Oberlausitzers, der die Sicht seiner Heimatregion vertritt.
Die Gunst der Stunde für interne Machtkämpfe: Verwunderung ja, Verrat nein!
Deutlicher hingegen wurde man wohl in der Fraktion, hier warf man ihm Naivität vor, weil er die Auftragsmorde von Putin unberücksichtigt ließ. Von einem „Desaster“ für die AfD soll die Rede gewesen sein, man befürchtet offenbar, noch tiefer in die Beobachtung des Verfassungsschutzes zu rutschen. Deshalb nahm wohl auch der verteidigungspolitische Sprecher Hannes Gnauck kein Blatt vor den Mund und gab in der „Bild-Zeitung“ zu Protokoll: „Wir streben 2029 Regierungsverantwortung an und müssen die sicherheitspolitischen Realitäten anerkennen: Es gibt feindselige russische Aktivitäten in Europa, darunter Desinformation, Spionage, Sabotageversuche und hochgradig provokatives Verhalten im Ostseeraum. Dabei wurde auch die Sicherheit deutscher Soldaten gefährdet. Eine realistische Außen- und Sicherheitspolitik brauche nüchterne Lagebeurteilung, nicht Wunschdenken“. Das war dann wohl mehr als nur ein unmissverständlicher Fingerzeig, doch man könnte wiederum entgegnen, dass der ehemalige Bundeswehr-Offizier mit dieser Aussage nicht mehr als westliche Narrative bedient, ohne für einen Großteil seiner Sätze tragfähige Belege vorzuweisen. Der Anschein ist nicht abwegig, hier wechsele jemand die Seiten.
Die Gefahr ist groß, sich aus Gründen der Anpassung von Erzählungen der transatlantischen Allianz vereinnahmen zu lassen. Wieso gelingt es einer patriotischen Kraft nicht, sich aus diesem schematischen Denken zwischen Ost und West zu befreien? Warum setzt man nicht stärker auf Neutralität? Weshalb muss man Deutschland zwingend geopolitisch und militärisch positionieren? Das Risiko besteht, mit der nun aufkommenden Debatte Zuspruch bei den kommenden Wahlen – nicht nur in Sachsen-Anhalt – zu verlieren. Denn wo ist der strikte Pazifismus geblieben, für den man zwischenzeitlich stand? Da mausert sich nunmehr das BSW zum einzig wahren Verfechter von Gewaltlosigkeit, profitiert gegebenenfalls von einer Spaltung innerhalb der „Blauen“. Denn es war nur eine Frage der Zeit, bis sich jener Graben wieder auftut, der programmatisch eigentlich unstrittig ist. Denn noch in einem Antrag an den Bundestag aus 2023 hieß es ziemlich klar: „Auch unsere europäischen Nachbarn erwarten von deutscher Seite eine tragfähige Friedensinitiative und keine Unterstützung eines hingezogenen Abnutzungskampfes gegen die Russische Föderation“. Wo soll der Weg also hinführen, sind manche Prinzipien von damals nur Schall und Rauch?







