Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Gaza-Klinik meldet erneut Tote und Verletzte nach Ansturm auf Uno-Lager mit Hilfsgütern“ (aus: „Der Spiegel“ vom 29.05.2025)
Es gibt keinen Konflikt auf dieser Erde, der sich in schwarz-weiße Schemata einkategorisieren lässt. Und der aktuell im Nahen Osten ausgetragene ganz besonders wenig. Mein publizistisches Verständnis war es seit jeher, mich nicht voreilig auf irgendeine Seite zu stellen. Insbesondere dann nicht, wenn sehr viel Emotionalität im Spiel ist. Das wiederum ist fast immer dann der Fall, wenn die vermeintliche Staatsräson der Bundesrepublik noch so indirekt mitmischt. Natürlich kann man legitim die Meinung vertreten, dass Israel den Punkt längst überschritten hat, Vergeltung für den Angriff der Hamas zu üben. Und ich würde mich dieser Auffassung nicht gänzlich verschließen. Andererseits tue ich mir mit einer abschließenden Beurteilung auch deshalb so schwer, weil es in derartigen Kriegen von Deutschland aus gesehen ungeheuer schwer ist, an gesicherte Informationen zu kommen, die nicht manipuliert, überzeichnet, verharmlost, fokussiert oder zumindest mit einem bestimmten Tenor versehen sind.
Da gibt es die unterschiedlichsten Quellen, denen ich allerdings auch deshalb wenig Vertrauen schenke, weil nun einmal im Gazastreifen aus meiner Perspektive keine klare Trennlinie zwischen Zivilbevölkerung einerseits und den Terroristen andererseits zu ziehen ist. Hier werden die einfachen Leute instrumentalisiert, infiltriert und radikalisiert. Und teils von klein auf der Maschinenpistole ausgebildet, um dem Davidstern im Zweifel den Garaus machen zu können. Der Nachwuchs ist mit der perfiden Mentalität geimpft, das feindliche Gegenüber habe keine Existenzberechtigung. Es wird nahezu zu Freiwild erklärt, schließlich gibt es auf beiden Seiten Verächter einer sorgsamen Koexistenz. Die Verquickung zwischen Gut und Böse zeigt sich beispielhaft an der offenbaren Nutzung von ziviler Infrastruktur wie Krankenhäusern als Schutzschilde vor einem Angriff auf Kommandozentralen. Und zu dieser Praxis höre von den Menschen vor Ort prinzipiell nur sehr wenig an nötigem Widerspruch.
Gleichzeitig können die Bilder nicht unberührt lassen, welche man zumindest als plausibel einschätzen kann, wenn die Verdrängung der Palästinenser auf einen immer engeren Raum zwangsläufig zu humanitärer Not führen muss. Ich bin wahrlich kein Anhänger des biblischen „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, das allein die Rache bis in einen Exzess führt. Deshalb verstehe ich auch jene, die auch in Tel Aviv gegen das Handeln der eigenen Regierung auf die Straße gehen. Und es ist mitnichten so, dass ich einer Regierung einen Freifahrtschein nur deshalb ausstelle, weil wir in Deutschland in Erinnerung und Mahnung an die barbarischen Verbrechen der Nationalsozialisten eine besondere Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk haben. Denn sie kann gerade in Freundschaft nicht so weit reichen, einen Blankoscheck für Netanjahu zu erteilen. Es hat nichts mit Antisemitismus zu tun, wenn man Jerusalem und seinem Militär vorwirft, den Grad der Angemessenheit deutlich über ein erträgliches Maß hinaus zu strapazieren.
Aber dass nun einmal eine Wunde klafft, wenn man in der ständigen Angst lebt, wieder Ziel von mörderischem Hass auf sogenannte „Zionisten“ und alle Andersgläubigen jenseits des Islams zu werden, dann bringe ich auch dafür Sensibilität auf, weil ich in unseren Straßen mit ansehen muss, welches Potenzial eine politisierte, ideologisierte und fanatisierte Religion besitzt, um zu grausamsten Schandtaten zu verleiten. Und dass der Durchschnittsbürger aus Chan Yunis, Rafah oder Bait Lahiya nicht zwingend auf Friedseligkeit aus sein muss, das zeigt sich an gewissen Hochschulen in Deutschland, deren Hörsäle aktuell relativ verwüstet aussehen, haben sich Anhänger mit „Arafat-Schal“ im Namen ihrer Glaubensbrüder am Inventar ausgetobt. Bei all dem geht es nicht um Rechtfertigung. Denn dazu bin ich weder befugt, noch habe ich hieran Interesse. Sondern ich bemühe mich um den Versuch, einen zutiefst komplexen Zusammenhang weder aus der einen noch aus der anderen Brille einseitig und parteinehmend zu bewerten.