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Die Freude am menschlichen Nachtreten, das Ergötzen in digitaler Stammesmoral: Wie in Social Media zum Angriff auf die Würde geblasen wird!

Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Soziale Medien können gravierende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben“ (aus: „Frankfurter Neue Presse“ vom 17.11.2025)

„In einer medialen Informationsgesellschaft kann uns die permanente ‚Infusion‘ des Negativen psychisch stark belasten und irgendwann regelrecht krank machen“, so sagt es der bekannte Neurologe Dr. Volker Busch, der mit dieser Einschätzung keinesfalls alleine dasteht. Und tatsächlich spüre ich es mittlerweile am eigenen Leib. Lange Zeit hatte ich mich vor der Nutzung sozialer Netzwerke gescheut, weil ich davon überzeugt war, dass diese neuartigen Plattformen in ihrer Schnelllebigkeit einerseits jegliche Debattenkultur zerstören, aber Individuen auch an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringen können. Schließlich existieren wir in einer Gegenwart der Oberflächlichkeit, des Destruktivismus und der Negativkritik, weil der Reiz der Empörung und der Emotionalisierung belohnt wird. Nicht nur durch unser Gehirn, sondern vor allem durch Likes. Als Journalist mit dem Anspruch, Dinge differenziert zu sehen, Sachverhalte zu analysieren und in die Tiefe manch eines Problems einzusteigen, komme ich mir auf X und Co. wie ein Fremdkörper, ein Aussätziger und ein Gegen-den-Strom-Schwimmer vor.

Wenn es nach manchen Nutzern geht, sollte ich schon morgen das Zeitliche segnen…

Kaum ein Tag vergeht mehr, an dem ich die Antworten zu meinen Veröffentlichungen frustriert aufrufe, um nicht nur Verächtlichmachung meiner Meinung entgegenzunehmen, sondern ein Infragestellen der menschlichen Integrität. Sich einzeln oder im Kollektiv daran zu ergötzen, wie ein Gegenüber den Glauben an sich selbst verliert, ist eine perverse Entwicklung der Gegenwart. Die gesellschaftliche Verrohung hat durch den Trend der Anonymisierung zugenommen, ganze Hemmschwellen wurden preisgegeben. Wenn ein Wort oder ein Gesicht nicht in den ideologischen Kram passt, dann wird kein gutes Haar mehr gelassen am Nächsten. Da gehen Anstand und Respekt über Bord, nicht einmal mehr vor Todeswünschen gegenüber dem Anderen wird haltgemacht. Prof. Dr. Markus Appel, Medienpsychologe an der Universität Würzburg, führte passend hierzu aus: „Es gibt längsschnittliche Befunde, die mögliche negative Effekte von Social-Media-Nutzung auf bestimmte Aspekte des Wohlbefindens beschreiben, wie etwa einen reduzierten Selbstwert oder verringerte psychische Gesundheit“.

Es spricht für dunkles Seelenheil, sich am Niedergang des Mitmenschen zu erregen…

Wer auf geballten Widerspruch stößt, der weit mehr als inhaltlicher Natur ist, wenn er Qualifikation, Eignung, Würde und Souveränität in Zweifel zieht, kommt ins Grübeln darüber, ob er in unserem Miteinander überhaupt noch gewollt ist. Die Wahrnehmung verengt sich, die virtuelle sei auch die reale Welt. Und tatsächlich werden die Unterschiede zwischen hier und da immer geringer. Denn rhetorische Gewalt ist zu einem Massenphänomen geworden, das forcierte Mobbing scheint mit dem geflügelten Begriff des Shitstorms den Status der Normalität erlangt zu haben. Wertschätzung, Dankbarkeit und Anerkennung für Lebensleistungen, für Aufopferung und Hingabe, für Engagement und Leidenschaft sind außer Mode. Stattdessen ist das Nachtreten auf am Boden liegende Mitgeschöpfe zu einem befremdlichen Volkssport mutiert. Sie immer weiter klein zu halten, führt in den Zustand einer Dauererregung, zur kognitiven Überforderung und zum Rückzug auf simple Muster. Man fühlt sich stark in der Gruppe der Pöbler und Hetzer, degradiert mit Adjektiven und Superlativen, reitet auf der Welle des Argwohns.

Wie armselig ist eine Gesellschaft, die ohne Spaltung keinen Puls mehr spürt?

Die Gut-und-Böse-Dichotomie, das Freund-und-Feind-Schema hinterlässt den Eindruck, dass Komplexes der Lüge entsprungen sein muss. Diese einfache Heuristik schlägt sich in Pseudonymen, Distanz und Enthemmung nieder. In Echokammern schafft der Algorithmus homogene Blasen, fördert das Gefühl von moralischer Überlegenheit. Ein permanenter und globaler Vergleich inszeniert das Perfekte, Schadenfreude wird gepusht. Nüchternheit und Länge gelten als obsolet, Parolen und Populismus machen das Urteilen leichter. „Performance“ und „Standing“ hat jener, der mit dem Finger auf „Systemlinge“, „Mainstream“ und „Verharmloser“ zeigt. Nur noch das Extreme taugt zum Gefühl, die Abstumpfung ist omnipräsent. Empathie-Reserven scheinen erschöpft zu sein, Menschlichkeit geht auch deshalb verloren, weil das Subjekt zum „Avatar“ wird. Wer sich von diesem Trend lösen will, kann entweder seinen Account löschen – oder geeignete Schutzmechanismen etablieren. Ich selbst lasse mir Stolz und Achtung vor Biografie oder Person nicht nehmen. Ich werde weiterhin mit meinem Handwerk klappern.