Cover "Der Abend sinkt ins Schweigen", © Rebecca Schuetze

Eine aphoristische Entführung in die Welt emotionaler wie belangvoller Dichtkunst

Rebecca Schuetzes „Der Abend sinkt ins Schweigen“ stärkt Seele und Wortschatz

Rezension von Dennis Riehle

Wer Literatur aller Arten rezensieren will, der ist zu Objektivität und Distanz angehalten. Doch die Aufgabe bedeutet nicht, sich im Werturteil völlig von der immanenten Persönlichkeit zu lösen. Stattdessen gebietet ein fairer Befund gar die Einbeziehung jener Reaktionen, die ein Text beim Lesen in uns hervorruft. Und so möchte ich an den Beginn meiner Kritik zum Werk „Der Abend sinkt ins Schweigen“ von Rebecca Marit Schuetze die große Ergriffenheit stellen, die diese vorliegende Sammlung an poetischer Lyrik in mir verursacht hat. Bereits das Inhändenhalten einer zutiefst nachdenklich machenden Covergrafik – welche in uns auf der einen Seite die Erinnerung an einen sinnbildlich für den momentanen Zustand unserer Welt stehenden Sonnenuntergang verfestigt, aber ebenso dazu geeignet ist, eine immense Sehnsucht nach dieser friedlich und still wirkenden Dämmerung voll des Reizes nach Echtheit zu erzeugen – lässt eintauchen in die höchst sensitive Herangehensweise der Autorin, die es in einer beispiellosen Feinfühligkeit versteht, jeden einzelnen Vers aus ihrer Feder zur Prüfung für Kognition und Emotion zu machen. All das ohne einen lehrreichen Rotstift und den erhobenen Zeigefinger, sondern mit Sanftmut und Einladung.

Während der Lektüre schwanke ich zwischen Schmerz und Zerrissenheit, zwischen Liebe und Dankbarkeit, zwischen Wehmut und Fügung, zwischen Hoffnung und Aussöhnung, zwischen Versuchung und Toleranz. Die Fülle an dargebotenen Impressionen, welche alle Beiträge für sich nicht nur aufgrund der inhaltlichen Tiefe und des Blickes in individuelle Seelen und ureigene Herzen hinterlassen, offenbart sich als ein professionell gekonntes Anwenden unterschiedlichster Reimformen, Metren und Stilmittel. Da durchstreift der von aller Wortgewandtheit verzückte Betrachter die Höhepunkte von Jambus und Trochäus, entdeckt balladische Alliteration und strophischen Refrain, schwelgt zwischen Metapher und Hyperbel, erfreut sich an Ellipse und Anapher. Diese Fundgrube an rhetorischer Brillanz ist nicht nur für den verbalfaustischen Ästheten ein Geschenk. Tiefenstrukturell ergibt sich ein Zweck, der deutlich über die Ausschmückung des Ausdrucks hinausgeht. Präzision in der Gestaltung der Wörtlichkeit, Phänomene in der Geschliffenheit des Vokabulars zieren eine darüber hinaus von ungekannter Dimension geweitete Sentimentalität im positivsten Sinn. Ohne in Larmoyanz zu verfallen oder Overstatements zu setzen, fasziniert die Epikerin in ihrer Routine mit affektiver Substanz und intuitiver Profundität.

Lenkt man den Fokus danach auf die thematische Auswahl, so wagt sich die Verfasserin an sämtliche Situationen des menschlichen Aufs und Abs, die von Trauer bis Erfolg, von Abschied bis Neubeginn, von Trennung bis Beziehung, von Leidenschaft bis Enttäuschung, von Romanze bis Verwundbarkeit reichen. Dabei werden die entsprechenden Momentaufnahmen der in wohl sämtlichen Biografien einer Gesellschaft zu findenden Schicksale nicht nur in anrührender und bewegender Dichtkunst beschrieben. Das passionierte Schmieden von linguistischem Gleichklang lässt uns auch auf der Ebene von Instinkt und Gemüt mitschwingen. Wer sich auf die Suche nach Reflexion der übertragenen Botschaften begibt, muss insbesondere aufgrund des wunderbar alltäglichen Sprachschatzes nicht erst um viele Ecken denken. Sondern die Nachricht vermittelt sich an den Empfänger in einer klassisch-simplen, durch das Aneinanderfügen aber höchst intellektuellen Rede. Die Menge an Assoziationen, die nahbar dazu anregen, Psychologie, Kausalität und Funktion vieler schwieriger wie chancenreicher Augenblicke unserer Existenz für Erwägung und Aufarbeitung zu nutzen, macht mich dankbar und beglückt zugleich. Denn auf sie trifft man nur einmal im Leben.

Transparenzhinweis: Die Rezension entstand auf Eigeninitiative von Dennis Riehle ohne die Überlassung eines Buchexemplars durch die Buchautorin.

Mehr zur Autorin findet sich auf Ihrer Webseite.