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Journalistisches Schweigen zum Gaza-Krieg? Das Trittbrett der Propaganda ist reizvoll, doch auch humanitäre Not sollte nicht blind machen!

Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Israel und der Gazakrieg: ‚Es ist mir fast gleichgültig – und das ist grässlich'“ (aus: „ZEIT Online“ vom 31.08.2025)

Der Journalismus ist wahrlich kein einfaches Metier. Als ich nach einer zunächst gänzlich anderen Berufswahl entschied, mich in den Bereich der Medien vorzuwagen, war mir durchaus bewusst, dass an einen Presseschaffenden vor allem der Anspruch einer universellen Informiertheit gestellt wird. Fachkunde und Expertise in fast allen tagesaktuellen Fragestellungen sind von Nöten, Meinung und Haltung zu nahezu jedem Thema, das als Schlagzeile über die Ticker kommt. Doch wie verhält man sich richtig, wenn man von Deutschland aus einen weit entfernten Konflikt beurteilen soll, in dem eine Propagandaschlacht tobt? Es ist nicht zuletzt der Krieg im Gazastreifen, welcher es nur allzu diffizil macht, zu einer maßvollen Einschätzung zu finden. Bemüht man sich darum, weder unter dem Eindruck der deutschen Staatsräson, noch einer voreiligen Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung zu stehen, gerät man nicht zuletzt auch deshalb schnell in die Bredouille, weil nicht viele Leser und Konsumenten erwarten, dass sich auch der objektive Kommentator zwingend auf eine Seite schlägt. Doch genau das soll nicht passieren, mag das Leid von Personen noch so sehr dazu verleiten, das Vorgehen Israels reflexartig als perfiden und gewollten Völkermord einzustufen.

Dass Israel zwischen Verteidigung und Rache taumelt, sollte klar benannt werden!

Selbstverständlich bleibt kein Zweifel, dass eine offene Debatte darüber nötig ist, inwieweit Jerusalem mittlerweile den Punkt weit hinter sich gelassen hat, sich nach dem Überfall der Hamas lediglich zu verteidigen. Ist man in den Modus der Rache übergegangen, sind die oftmals wahllos und willkürlich anmutenden Angriffe auf den Küstenstreifen möglicherweise nicht doch unverhältnismäßig? Eine juristische Auseinandersetzung kann ich an dieser Stelle nicht bieten. Doch wir alle kennen den Terminus des Notwehrexzesses, gehen wir bei der Abwehr von Verbrechen gegen Leib und Leben schnell über das Notwendige hinaus. Zwar befindet sich das jüdische Volk nicht mehr unmittelbar im konkreten Ereignis des Oktobers 2023. Doch der terroristischen Bedrohung durch den Dschihad ist man weiterhin ausgesetzt. Daher kann von einer fortwährenden Dynamik ausgegangen werden, die entsprechend andauernde Antworten gegenüber den Islamisten dem Grunde nach legitimiert. Sind diesbezüglich aber schwerwiegende Behauptungen glaubwürdig und konsistent, Netanjahu finde mit seinem Kabinett Gefallen daran, auch Zivilisten zu tyrannisieren, schikanieren und zu töten? Wenig bestritten ist das Faktum großen Leides und manifester Not bei jenen, die auf den ersten Blick als Unbeteiligte in weißer Weste gelten.

Die Grenzen zwischen Zivilbevölkerung und Terroristen sind an vielen Stellen fließend!

Sie werden als Schutzschilde instrumentalisiert, gelten als Makulatur für eine mörderische Bande professionalisierter Extremisten, die sich und ihre Strukturen bestens zu kaschieren wissen. Man versteckt sich dort, wo der Alltag stattfindet. Auf Märkten oder vor Krankenhäusern, in Menschentrauben oder unter TV-Stationen. Wäre es zumutbar, differenzierter zu agieren, beispielsweise durch Operationen auf dem Boden, statt unpräziser oder großflächiger Bombardements aus der Luft? Auch hier fehlt mir der militärische Verstand für eine eindeutige Antwort. Gleichzeitig weiß ich um die Bereitschaft einer – laut Selbstbezeichnung – sunnitischen „Widerstandsbewegung“, Bilder um die Welt zu schicken, die von Fibrosen und Zerebralparesen gezeichnete Kinder zeigen, aber unter der Überschrift verkauft werden, sie seien vom Feind ausgehungert worden. Tatsächlich gibt es auch von offizieller Seite der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und Oxfam wiederkehrende Einschätzungen grassierender Lebensmittelknappheit in mehreren Abschnitten zwischen Rafah und Jabalia. Inwieweit sich diese Zustände allerdings zu einer konsistenten Ernährungskrise ausgeweitet haben, wird man aus der Fremde auch dann nicht abschließend einordnen können, wenn nunmehr offiziell ein katastrophaler Grad überschritten worden sein soll, weiß man im Hinterkopf um gestellte Fotos und inszenierte Videos, die ohne Unterlass und in der Hoffnung auf Naivität zirkulieren.

So schwer es emotional auch fällt, das journalistische Urteil sollte nicht moralischer Natur sein!

Dem früheren Tagesthemen-Moderator Hanns-Joachims Friedrichs wird oftmals ein Zitat nachgesagt, welches nur bedingt authentisch ist, fehlt ihm häufig der nötige Zusammenhang. Es besagt, dass sich unsere Branche der Publizistik „mit keiner Sache gemein machen soll, auch nicht mit einer guten“. Hört man allein auf Emotionalität und Mitgefühl, so bin ich fest davon überzeugt, dass auch bei diesem Brandherd am östlichen Mittelmeer so unendlich viel Unfairness geschieht. Allein humanitär gesehen, offenbart sich ein Dilemma, welches allerdings jede von Gewalt getragene Feindschaft mit sich bringt. Feldzug und Konfrontation hinterlassen stets unschuldige Opfer, machen Arglose zu Sündenböcken. Über ihre Qualen und Pein dürfen wir das Schweigen nicht obsiegen lassen. Gleichzeitig sollten wir keinesfalls vergessen, dass noch immer viele Einwohner der umkämpften Gebiete Sympathie und Zuspruch für jene Fanatiker in sich hegen, die ihre eigenen Leute über Jahrzehnte unterdrückt, vernachlässigt und preisgegeben haben. Wer einer Muslimbruderschaft blindlings die Stange hält, die sich fortwährend in einer Intifada sieht und im Antizionismus das Existenzrecht ihres Gegners negiert, begibt sich in Gefahr und Risiko. Auch das ist eine bittere, jedoch gleichsam ehrliche Wahrheit.