Kommentar zum Artikel „Debatte bei Union Berlin: ‚Wenn Journalisten versuchen, Politik zu machen – ich bin nicht überzeugt'“ (aus: „Berliner Zeitung“ vom 03.09.2025)
Ich erinnere mich gut an eine Weggabelung in meiner Biografie, als mir ein Arbeitsvermittler die Frage stellte, ob für mich eher ein Job als Berufung und Leidenschaft oder eine Qualifikation zum Erreichen von monetärem Wohlstand in Frage kommen soll. Die Antwort diesbezüglich war für mich schon deshalb einigermaßen alternativlos und reflexartig, war ich noch nie ein Mensch, dem es um Reichtum und Prestige ging. Stattdessen steht bis heute die ideelle Erfüllung im Vordergrund dessen, was ich tagtäglich tue. Zwei Passionen schlugen gleichrangig in meinem Herzen. Neben der Theologie war es der Journalismus, für den ich mich am Ende entschied, um in einer Ausbildung bestätigt zu werden, die zum damaligen Moment noch vermittelte, sich ausdrücklich zu einem Verteidiger der Objektivität zu mausern. Wie oft wurde uns vor Augen geführt, dass es Pressesprecher der Regierung zur Genüge gebe. Dagegen mangelte es schon damals an jenen Kräften, die der Versuchung von Karriere zu widerstehen bereit waren.
Wer Sprachrohr der Obrigkeit werden will, soll den Journalismus hinter sich lassen!
Und so muss man den Eindruck bei den etablierten Medien gewinnen, unter denen vor allem der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit einem ganz besonderen Ausmaß der Willfährigkeit hervorsticht, dass heutzutage nicht mehr die Tugend der Unabhängigkeit federführend ist, wenn sich Kollegen auf das Parkett des politischen Berlins und in die Untiefen anrüchiger Recherche begeben. Viel eher scheinen Moderatoren und Schreiberlinge händeringend nach Kontakten zu den Mächtigen zu suchen, sind nicht wenige Vertreter von ihnen darauf angewiesen, dass die Gebühren der Beitragszahler weiterhin konsequent und sukzessive fließen. Doch der Verweis darauf, man müsse in einer Branche, die von losen Anstellungsverhältnissen und großem Konkurrenzdruck gezeichnet ist, stets auch ans Ernähren der eigenen Familie denken, kann keine Entschuldigung dafür sein, sich im Zweifel in den Dienst einer Doktrin zu stellen, um in untertäniger wie anbiedernder Berichterstattung Grüne und Chefredakteure glücklich zu machen.
Familiäre, soziale oder wirtschaftliche Interessen rechtfertigen keine Anpassung!
Nicht selten steckt hinter Einseitigkeit und Tendenz in Information und Kommentierung aber auch eine immanente weltanschauliche Überzeugung, die auf rasche Distribution ausgerichtet ist. Und natürlich bleiben wir als Menschen nicht gänzlich davor gefeit, unsere individuelle Position und Mentalität in ideologischen Fragen zu allen Zeiten in den Hintergrund rücken zu können. Neutralsein ist daher eine Utopie, Autonomie und Souveränität im Denken und Handeln dagegen eine legitime Erwartung. Denn der Zuschauer und Leser kann uns abverlangen, die Rolle eines kongenialen Beobachters zu verlassen, um in die Vogelperspektive zu wechseln. Emanzipation und Freiheit entstehen für Akteure in der Publizistik durch die stringente Willigkeit, die einflusslose Sicht von der Metaebene aus einzunehmen. Das bedeutet keinesfalls und zwangsläufig, sich gänzlich einer persönlichen Meinung entledigen zu müssen. Doch sie darf und sollte niemals als plumpe Parteinahme durchschimmern, stattdessen im Zweifel argumentativ begründet werden können.
Unabhängigkeit entsteht dadurch, der Wahrhaftigkeit so nahe wie möglich zu kommen!
Auch ist es abträglich, den Anspruch auf Absolutheit zu erheben. Stattdessen sollen eine Betrachtung und Auffassung als Angebot an den mündigen Souverän in den Raum gestellt werden, die Diskussion erzeugt. Wer belehren und moralisieren, erziehen und entmündigen möchte, hat dort nichts zu suchen, wo die Vielfalt an Geisteshaltungen zum Wesen sämtlichen Schaffens gehört. Wir sind keine Mistkratzer, die in investigativer Manier Skandale und Affären aus dem Hut zaubern, um damit Schlagzeilen zu produzieren. Auch kann es nicht Ziel sein, Verhältnisse zu beschönigen oder Situationen zu dramatisieren. Zwar sollte sich selbst der Faktenchecker klar machen, dass auch angebliche Wahrheiten in einem abgeschlossenen Gefüge generell nur relativ sein können. Trotzdem muss das Credo gelten, wahrgenommene Wirklichkeiten ohne Rücksicht auf niedrige Interessen authentisch und unverzerrt an die Konsumenten weiterzugeben. Nur so ist Glaubwürdigkeit denkbar. Und sie braucht unsere Zunft heute mehr denn je.
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