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Natürlich war mit ihrem Umfallen zu rechnen: Der journalistische Irrglaube an das widerständige Rückgrat aller Unions-Rentenrebellen!

Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Sieben Unionspolitiker stimmen mit Nein – Kiesewetter überrascht mit Enthaltung“ (aus: WELT vom 05.12.2025)

Wenn man in einem Dorf in der südbadischen Provinz sein Dasein verbringt, dann ist man mit einem bestimmten Phänomen bestens vertraut. Nämlich der Tendenz und Neigung des einfachen Bürgers, sich mit Blick auf das Stimmverhalten an der Urne wenig selbstkritisch zu zeigen. Wer einmal CDU gewählt hat, der tut dies im Zweifel ein Leben lang. Da kann kommen, was will: Man hat es immer so gemacht. Meiner Wenigkeit ist diese Mentalität fremd, habe ich schon mehrmals meinen ideologischen Kurs an die Realität angepasst. Denn insbesondere mit Blick auf die Union sollte sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass man Ankündigungen nichts beimessen und Versprechungen keinesfalls für bare Münze nehmen kann, kommen sie aus dem Konrad-Adenauer-Haus. Trotzdem fallen auch Kollegen immer wieder dadurch auf, mit allzu vielen Vorschusslorbeeren am Ende vor einem Scherbenhaufen zu stehen. So ereilte es auch Journalist Julius Böhm von NiUS. Er hatte öffentlichkeitswirksam Hoffnung in die Rentenrebellen der „Jungen Gruppe“ gesetzt, die anfangs einigermaßen geschlossen betonten, dem generationenfeindlichen Vorhaben der Bundesregierung ihr „Ja“ zu verweigern.

Politische Beobachter sollten vor Naivität und Gutglaube der Mächtigen gefeit sein…

Doch dann kam es anders: Nur sieben Mandatare behielten ihr Rückgrat, die anderen knickten ein. Der Fraktionschef hatte auf sie eingewirkt, offenbar mit Konsequenzen für die Karriere gedroht, würden sie die Kanzlermehrheit von Friedrich Merz gefährden. Und so trennte sich die Spreu vom Weizen, kamen jene auf dem Boden der Tatsachen an, die visionär und utopisch tatsächlich davon ausgingen, hier könnte eine nennenswerte Zahl an Abgeordneten der Einschüchterung etwas entgegensetzen. Wenn es um Prestige und Einfluss geht, um die berufliche Zukunft und den Stand in einem politischen Gerüst, sind die Versuchungen in aller Regel zu gewaltig. Da sollte man sich nichts vormachen, dass Tugend und Anstand Gehorsam und Linientreue überdauern. Das Kartell ist eingefahren und verkrustet, der Geschäftsbetrieb in der Hauptstadt folgt unumstößlichen Prinzipien. Hierzu gehört nicht zuletzt, heroisch und waghalsig als Revolutionär nach vorne zu preschen, um als Bettvorleger vor den Füßen von Jens Spahn zu landen. Wer nicht hofft, kann nicht enttäuscht werden. Das mag letztlich hart und ernüchternd klingen, ist aber so. Denn Berlin ist kein „Wünsch dir was“.

Im Parteienstaat wird der Fraktionszwang das Gewissen immer wieder neu überdauern…

Auf ein beständiges Gewissen darf man allenfalls bei jenen bauen, die mit den Zwängen und Mechanismen des Etablierten bislang kaum in Berührung kamen. Art. 38 GG ist eine Floskel, in unserem System nicht mehr als Schall und Rauch. Der persönliche Fortschritt erlangt stärkeres Gewicht als die gesellschaftliche Entwicklung. Narzissmus anstelle von Idealismus, dieser Befund kann erfahrene Beobachter eigentlich nicht erschrecken. Denn Menschen denken in erster Linie an sich, auch wenn sie stets betonen, für Volk und Land da zu sein. Ein Mittel der Abhilfe kann nur das Reformieren und Erweitern des repräsentativen Herrschaftswesens um plebiszitäre Elemente sein, denn Parteien werden sich nicht gänzlich abschaffen lassen. Wer gerade in entscheidenden Fragestellungen das Votum zurück in die Hände des Souveräns legt, umgeht den betörenden Reiz, für Regiment und Stärke Seele und Profil zu verkaufen. Solange Mut und Hingabe selten belohnt werden, Anpassung und Unterwerfung ohne Folgen bleiben, wird sich am Umfallertum nichts ändern. Wir sollten uns ehrlich machen hinsichtlich der Verklärung von Widerständlern, denn sie hat sich schon so oft abgenutzt.