Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Grüner Plan für Parteiverbot: ‚Man muss die AfD mit der NSDAP von 1933 vergleichen'“ (aus: WELT vom 05.11.2025)
Die Erscheinung der Psychose ist in der Wissenschaft mit einem maßgeblichen Verlust der Realitätskontrolle definiert. Wer sich in Scheinwelten verstrickt, weil er von einer manifesten Fiktion getrieben wird, entzieht sich einem objektiven Blick auf die Wirklichkeit zugunsten des obsessiven Bedienens von Ideologie, Propaganda und Verschwörung. Wie zahlreich mittlerweile Parallelen in die Vergangenheit herbei halluziniert werden, muss durchaus Sorge bereiten. Denn ein Relativieren des Damals konkludiert ausdrücklich eine Fehlbewertung des heute. Und tatsächlich muss mit gesundem Verstand Zweifel gehegt werden an historischen Assoziationen, betreffen sie beispielsweise die Behauptung, es gebe Ähnlichkeit zwischen der Alternative für Deutschland und der NSDAP. Ein solches Suggerieren erleben wir derzeit in Bayern: Der „Grünen“-Abgeordnete Toni Schuberl stellte kürzlich eine Dokumentation fertig, in der er Zitate und Redebeiträge der AfD-Fraktion im Plenum des Bayerischen Landtags analysierte. Und kommt hierbei zur skandalträchtigen wie perfiden Erkenntnis einer potenziellen „Wesensverwandtschaft mit dem frühen Nationalsozialismus“.
Was nicht passend ist, wird auch nicht durch Toni Schuberl passend gemacht werden können…
Dies macht er unter anderem an rhetorischen Mustern fest, wonach beide Parteien „Narrative“ verbreiteten, nämlich jenes der jüdisch-bolschewistischen Weltherrschaft einerseits – und das der „geheimen Elite“ andererseits. Hiermit sollten Ängste vor Überfremdung und Vorurteile gegenüber Minderheiten geschürt, ein biologisch-ethnisches Verständnis zur Normalität erklärt werden. Auch das Dritte Reich habe nicht mit dem Holocaust begonnen, sondern sich bereits in Vertreibungsphantasien abgezeichnet. Das aktuelle Bemühen von Weidel, Höcke oder Chrupalla um Remigration sei insofern ein Hinweis darauf, dass aus Worten Taten werden könnten. Manche Historiker schließen sich dieser Bewertung an, wollen eine Tarnsprache erkannt haben. Gleichzeitig wird auf die Nuancierung hingewiesen, eine Verharmlosung des einstigen Terrors sei bei einem Anhalt für Affinität nahezu zwingend implementiert. Gleichzeitig betonen Fachleute, dass bei den „Blauen“ weder eine explizite Vernichtungsabsicht noch paramilitärische Strukturen erkennbar sind. Man mache es sich zu einfach mit einer schlichten Gegenüberstellung zweier divergierender Epochen.
Diktatorische wie tyrannische Elemente fehlen der AfD in ihrer Gesamtheit…
Schließlich fehlt es nicht nur an offenem Antisemitismus, sondern auch an einem pauschalen Argwohn gegenüber Ausländern in ihrer Gesamtheit. Stattdessen differenziert sich die Kritik der AfD in Richtung Islamisierung und des Missbrauchs unseres Asylwesens. Begibt man sich auf die Suche nach der entsprechenden Programmatik, so findet man vor allem die Forderung nach konsequenter Rückführung von Straftätern und der Abschiebung von Ausreisepflichtigen, denen es an einem dauerhaften Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik, Integrationswille und Anpassung mangelt. Stringente Xenophobie konnte auch Schuberl nicht nachweisen, stattdessen verstrickt er sich im kontextlosen Aneinanderreihen von einzelnen Äußerungen bis ins Subtile, die er zudem nicht im Lichte der legitimierten Zuspitzung von Meinung, Parolen und Überzeugungen sieht. Es gibt keinen Versailler Vertrag im Jahr 2025, der die Ernüchterung der Deutschen anheizt. Es herrscht keine Hyperinflation. Gewaltbereitschaft von früher versus Parlamentarismus von heute. Zwar mobilisierte man auch um 1933 Protestwähler, aber nicht als nützliche Marionetten.
Aus einzelnen Begriffen und Formulierungen folgt nicht zwingend ein System…
Dass der Thüringer Frontmann für die Verwendung verbotener Parolen verurteilt wurde, die Co-Chefin mit der Darstellung Hitlers als „Kommunist“ ebenfalls für hinkende Vergleiche sorgt, mag in der isolierten Betrachtung denjenigen in die Hände spielen, die momentan ein Verbot der stärksten Oppositionskraft fordern. Doch die Hyperbel erweist sich häufig als Rohrkrepierer, kommt sie als Bumerang zurück, um denjenigen in eine Opferrolle zu drängen, welcher sich mit Unterstützung einer polarisierten wie gespaltenen Gesellschaft zunehmend mehr Rückhalt in den Umfragen sichert. Wer arglos Brandmauern der Ausgrenzung zieht, um sich als Vorzeigedemokrat dem „Nie wieder“ zu verschreiben, lässt sämtlichen Zusammenhang außer Acht, weil Weimarer Verhältnisse passé sind. Nichts zu finden von Rassenkrieg, Expansionsgedanken oder Totalitarismus. Formulierungen allein bringen noch keinen Umsturz. Stattdessen will die AfD Abrüstung, Volksentscheide, Leitkultur und Tradition, aber keinen Personenkult, keine Gebietsansprüche, keinen Genozid und keine Diktatur. Und so hat ihr Mandatar Jörg Baumann recht: Hier wird NS-Zeit verharmlost!







