Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Bundeswehr-Reservistenchef fordert Rückkehr der Wehrpflicht: ‚Tausend Tote oder Verletzte am Tag'“ (aus: „Berliner Zeitung“ vom 22.10.2025)
Wenn ich mich zurückerinnere, dann war der Montagmorgen vor 25 Jahren geprägt von einer Stunde Religion, von einer Stunde Physik, von einer Doppelstunde Deutsch, von einer Stunde Mathematik und von einer Stunde Englisch. Zwar gab es immer wieder neue Fächer, die das Kultusministerium in den Wochenplan aufnahm. Doch ich frage mich ernsthaft, wie ich reagiert hätte, wenn darin plötzlich die regelmäßige Unterrichtseinheit zu „Krieg und Krisen“ zu finden gewesen wäre. Alexander Dobrindt macht einen Vorstoß, der für massive Kritik in der öffentlichen Debatte sorgt. Wir sind mittlerweile von der Tüchtigkeit in den Spannungsfall übergegangen, der letztendlich eine derart gravierend außenpolitische Konfliktsituation bedeutet, dass auch ein bewaffneter Angriff auf die Bundesrepublik nicht gänzlich ausgeschlossen werden könnte. Doch befinden wir uns objektiv in einer solch prekären Ausgangslage? Oder wozu dient all die eilige Aufrüstung, die Militarisierung, das Ermutigen zum Anlegen von Vorräten aus Dosen-Ravioli und Toilettenpapier? Von wem geht die Eskalation dieser Tage tatsächlich aus?
Die Unersättlichkeit der Rüstungsindustrie: Wie hoch ist die Gefahr für Krieg wirklich?
Handelt es sich um mehr als Panikmache in einer Phase der Geschichte, die mit der Corona-Pandemie erst jüngst gezeigt hat, wie leicht sich eine Gesellschaft durch Horrorszenarien disziplinieren und instrumentalisieren lässt? Oder gibt es Nutznießer, die – ähnlich der Pharmaindustrie – profunde Interessen daran besitzen, dass die Politik die Stimmung weiter aufheizt? Denken wir in der Mentalität des Innenressortchefs weiter, wäre es folgerichtig, die Kleinsten auch mit den Themen Sicherheit, Werte, Kultur und Ordnung in Kontakt zu bringen. Wie reagiere ich auf einen Messerangriff im Pausenhof? Wie gehe ich damit um, wenn meine Stulle von islamischen Klassenkameraden wegen Schweinemett aus den Händen geschlagen wird? Wie verkrafte ich, nicht Weihnachten feiern zu dürfen, aber das Gebet zum Ramadan meines Nebensitzers akzeptieren zu müssen? Wieso darf ich nicht mehr von Mann und Frau sprechen, warum finden sich neuerdings Satzzeichen inmitten eines Wortes, um Geschlechtervielfalt abzubilden? Und wieso weht auf der Turnhalle der bunte Regenbogen anstelle der trikoloren Deutschlandflagge?
Ab 1937 wurden unsere Sprösslinge in sogenannter „Wehrwissenschaft“ erzogen, die Mädchen mit dem Begriff der „Heimatfront“ in Berührung gebracht. Ferienlager mit militärischem Drill gehörten ebenso wie fokussierter Sportunterricht oder „Gymnastik für gesunde Mütter“ zur Realität. Sind es also neuerlich Zeichen am Horizont, die auf den nächsten Super-GAU hinweisen, wenn die Überschrift an der Tafel nicht etwa Pazifismus und Diplomatie lautet, sondern ganz explizit von einem offensichtlichen Überfall Russlands auf die NATO spricht? Es waren amerikanische Think Tanks wie das „Institute for the Study of War“ (ISW), das „Atlantic Council“, das „Belfer Center“ (Harvard) oder das britische „International Institute for Strategic Studies“, die in unterschiedlichen Ausprägungen vor einer signifikanten Bedrohung für die baltischen Staaten zwischen 2027 und 2029 ausgehen, um in der Folge auch nicht zu negieren, dass der Kreml vielleicht sogar mit seinen Truppen von dem Brandenburger Tor steht. Braucht es unbedingt wieder einen großen Knall, war es zu lange ruhig zwischen den „Global Playern“?
Alle Zeichen sind auf Spannungsfall, doch Putin hegt gar kein Interesse am Westen…
Oder woher rührt die Faszination, Munitionsfirmen auszubauen, nicht mehr von einem Friedenszustand sprechen zu wollen? Der Verteidigungsminister und sein oberster Inspekteur wollen Reserven von bis zu 1,5 Soldaten aufbauen. Friedrich Merz hat offenbar genug von Verhandlungen, malt die dritte Apokalypse in unserer Historie an die Wand. Durch erhöhte Sabotage und Grenztestungen könne ein konventioneller Krieg schon bald ausbrechen, mahnt BDN-Chef Bruno Kahl. Der litauische Geheimdienst erwartet Spitzen Putins, um Artikel 5 und Schwachstellen zu prüfen. Nach Meinung zahlreicher Experten bleibt die Wahrscheinlichkeit für einen dramatischen Verlauf allerdings zwischen 10 und 25 Prozent, denn die Diskussion ist vornehmlich konditional, aber nicht von stichhaltigen Belegen getragen. Allein bis Oktober gab es mindestens 650.000 Tote und Verwundete für Moskau durch den Einmarsch beim Nachbarn, 80 Prozent der modernen Panzer sind verloren. Das Bruttoinlandsprodukt sank und mehr als zwei Prozent, die Geburtenrate ist mit 1,4 schwach. Allein eine Million Personen sind ausgewandert.
Man fragt sich auch, welchen Grund es dafür geben sollte, EU-Gebiet zu erreichen? Die Gründe für die Invasion Richtung Kiew liegen in der Expansion des transatlantischen Bündnisses entgegen mündlicher Zusagen, die unter anderem durch unseren früheren Außenminister Genscher an die Sowjetunion gemacht wurden. Aber auch in der Einmischung der Europäischen Union während des Maidan-Protests und dem Sturz von Präsident Janukowitsch, der sich explizit für die russophile Bevölkerung im Donbass eingesetzt hatte. Nicht nur durch Belarus wurde eine Pufferzone geschaffen, allein durch eine kostengünstigere Hybridvariante ließe sich eine materielle und mit Humankapital-Einsatz verbundene Provokation vermeiden. Das Narrativ über eine westliche Bedrohung als politische Legitimierung Putins lässt sich auch ohne Waffengewalt aufrechterhalten. Höhere Prioritäten haben momentan die Arktis, Afrika sowie die Partnerschaft zu China und Indien. Die Erfolgsaussicht einer Uneinigkeit zwischen Berlin, Paris, London und Washington ist aber so gering, dass das Risiko einer Gefahr aus dem Osten schmilzt.







