Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Extremismus: Krah fordert Distanzierung von Sellners Remigrationskonzept“ (aus: „stern“ vom 23.10.2025)
Kommt es in einem Staat zu einer Anhäufung der Macht bei Richtern, so spricht der Experte von einer Kritarchie. Und so ist es in einem demokratischen Gemeinwesen untypisch, dass man einem Urteil der Justiz einen Absolutheitsanspruch zukommen lässt. Immerhin hat das letzte Wort in der Volksherrschaft der Souverän. Entsprechend muss es allzu legitim sein, auch jener Gewalt in die Parade zu fahren, die ihre Entscheidungen in unserem Namen verkündet. Deutlich fällt daher meine Replik nach Leipzig aus. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat sich eine recht hanebüchene Begründung und einen ziemlichen Schnitzer im Zuge ihrer Abwägung darüber erlaubt, ob das Magazin „Compact“ dem Vorhaben der ehemaligen Innenministerin Feaser entsprechend verboten bleibt. Zwar kam man in der Subsumierung zu dem überraschenden Resultat, dass die Pressefreiheit überwiegt und das Dekret aufgehoben wird. Doch die dazu ausführenden Zeilen mutieren über weite Strecken zum Zeugnis schlichter Behauptung, Vermutung und Annahme, denen es an Substanz fehlt. Selten ist man derart fahrlässigem wie schlechtem Handwerk begegnet, fehlen Kontexte und Zusammenhänge gänzlich.
Dies gilt vor allem mit Blick auf die Konklusion zum sogenannten Remigrationskonzept des österreichischen Aktivisten Martin Sellner. Dessen Vorstellungen, auf das sich auch das betreffende Medium bezogen haben soll, gehen nach Auffassung der Roben „von einer zu bewahrenden ‚ethnokulturellen Identität‘ aus und behandeln deshalb deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund als Staatsbürger zweiter Klasse“. Doch wie kommt es zu diesem „deshalb“? Ergibt sich aus einer „ethnokulturellen Identität“ zwingend die Herabwürdigung von Migranten? In dem Schiedsspruch geht man noch weiter – und unterstellt, „dass das sowohl durch die Menschenwürde als auch das Demokratieprinzip geschützte egalitäre Verständnis der Staatsangehörigkeit“ durch die Standpunkte des Wieners missachtet würde. Ist man im Umkehrschluss ohne Staatsangehörigkeit auch ohne Menschenwürde? Reduziert man den Menschen hier nicht auf bloße Formalitäten? Zumindest holpert dieser Gedankengang an so vielen Stellen, dass bei der Lektüre schwindelig werden muss. Immerhin ist es ein wissenschaftliches Credo, plausible und nachvollziehbare Schlusstechniken zu verwenden.
Wie oft hören wir das Argument „Menschenwürde“, ohne seine Definition genau zu kennen…
Man sollte sich noch einmal in Erinnerung rufen, was das Bundesverfassungsgericht zu Art. 1 GG gesagt hat: „Ein Angriff auf die Menschenwürde ist nur dann gegeben, wenn der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als unterwertiges Wesen behandelt wird“. Kann man von solch einer Prämisse ausgehen, engagiert man sich mit Vehemenz für konsequente Abschiebungen? Dem sogenannten Geheimtreffen von Potsdam, an dem ebenfalls der erwähnte Influencer teilnahm, wurde immer wieder nachgesagt, die Anwesenden hätten auch die „Verbringung“ von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund thematisiert. Dabei musste das sogenannte Recherchezentrum „Correctiv“ – welches den Komplex an die Öffentlichkeit brachte und in einer beispiellosen Skandalisierung die Presse zu einer Falschinterpretation der Vorgänge motivierte – während der Verhandlung vor dem Landgericht Hamburg eingestehen, wonach es „zutreffend“ sei, dass „die Teilnehmer*innen nicht über eine rechts-, insbesondere grundgesetzwidrige Verbringung oder Deportation deutscher Staatsbürger gesprochen haben“.
Ebenfalls aus Karlsruhe stammt der schlichte Befund: „Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber indessen nicht jede Ungleichbehandlung von Deutschen und Ausländern. Es ist dem Gesetzgeber nicht generell untersagt, nach der Staatsangehörigkeit zu differenzieren“. Wir dürfen also durchaus entlang von Passpapieren und Herkunft unterscheiden, sind nicht dazu verdammt, Fremdes mit Bekanntem auf denselben Rang zu stellen. Entsprechend scheint auch die Empörung einigermaßen zeitgeistig, die sich nunmehr in der AfD auftut. Dort möchte der neuerdings äußerst angepasste Mandatar Maximilian Krah, der vor noch nicht vielen Monaten eher als Hardliner galt, seine Partei auf Mäßigung einebnen. Journalistenkollege Frederik Schindler von WELT springt ihm bei dem Versuch bei, explizit auf Basis der sächsischen Rechtsprechung eine Distanzierung von Björn Höcke und jenen vorzunehmen, die sich weiterhin gegen Denkverbote einsetzen. Denn kann es tatsächlich richtig und nachvollziehbar sein, wenn wir im Akkord einbürgern, ohne überhaupt geprüft zu haben, inwieweit sich der Einzelne zur hiesigen Integration, Prägung, Kultur, Regeln, Gesetzen und Traditionen bekennt?
Es ist gesetzlich keinesfalls unmöglich, erteile Staatsbürgerschaften wieder zu entziehen!
Mittlerweile werden am Laufband Ausweise gedruckt, in Berlin erhält man sie sogar digital, ohne eine persönliche Vorstellung beim Amt. Wäre es also prinzipiell undenkbar, selbst jene in die Heimat zurückzuführen, die per Turboverfahren in unsere Gesellschaft eingegliedert wurden, sich aber im Nachhinein als charakterlich ungeeignet erweisen, Teil unseres Miteinanders zu sein? Sowohl Martin Sellner wie auch der thüringische Fraktionschef der Alternative für Deutschland haben stets betont, dass ihre Forderungen im Einklang mit Paragrafen und Grundgesetz stehen. Und so ist es beispielsweise § 35 StAG, der den Widerruf der Staatsbürgerschaft bei Täuschung, Drohung und falschen Angaben über Vorstrafen sowie sonstige relevante Tatsachen wie etwa Sprachkenntnisse oder Lebensumstände möglich macht. Auch bei einer Gefährdung der Sicherheit ist ein solcher Schritt gangbar. Es braucht also zunächst den Mechanismus einer Aberkennung, ehe anschließend auch die Ausweisung nach verfassungsrechtlich einwandfrei normierten Prozessen erfolgen kann. Nichts anderes will man umsetzen, sollten die „Blauen“ letztlich in politische Verantwortung gelangen.
Immerhin ist nicht jede Benachteiligung mit einer Relativierung der Menschenwürde gleichzusetzen. Selbiges geschieht erst dann, wenn aufgrund von Merkmalen wie der Rasse eine prinzipielle Feindseligkeit, Argwohn oder gar Gewaltbereitschaft legitimiert wird, die die Integrität pauschal wegen der Herkunft in Frage stellt. Die Vision eines friedvollen Nebeneinanders der Zivilisationen ist unserem Stammbuch näher als die Utopie grenzenloser Vielfalt. Diese findet sich nämlich an keiner einzigen Stelle, während § 6 BVFG die Volkszugehörigkeit ausdrücklich auch an die Abstammung knüpft. Eine gewisse Separierung in Form der Bestätigung von Souveränität, Einheit und Mehrheit in den autochthonen Wurzeln erweist sich insofern als fundierte und unanrüchige Perspektive, die sich nicht dadurch wegdiskutieren lässt, dass manche Justitia ihre Neutralität in der Gegenwart abgelegt hat. Denn solange es an Konsistenz und Kontinuität in deren Formulierungen mangelt, besitzt sie auch nicht die Entfaltungskraft, für Verbindlichkeit zu sorgen. Jener bedarf es nämlich an schlüssiger und sinnfälliger Beweisführung, die aber leider immer öfter ausbleibt.







