Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Hamas lehnt Entwaffnung strikt ab – Erste Hilfs-Lkw erreichen Menschen in Gaza“ (aus: „n-tv“ vom 12.10.2025)
Es war die klassische Voreiligkeit, das reflexartige Reagieren auf eine Nachricht, die in aller Welt zwar für Erleichterung gesorgt hat, aber doch nur halbherzig gewesen ist. Die Hamas hatte bestätigt, auf eine von US-Präsident Trump initiierte Vereinbarung einzugehen, die noch lebenden Geiseln freizulassen. Rasch wurde von „Frieden“ gesprochen, der Amerikaner sollte gar den Nobelpreis erhalten. Natürlich ist die Freude über den ersten Schritt eines Abkommens nachvollziehbar und legitim. Doch dass die Muslimbruderschaft bereits die Phase 2 in Frage stellt, weil sie offenbar nicht bereit ist, die Waffen niederzulegen und die politische Macht im Gazastreifen abzugeben, dürfte auch deshalb nicht überraschen, weil Zusagen von Terroristen nur selten von Substanz und Verlässlichkeit geprägt sind. Netanjahu findet sich nun in einer Zwickmühle wieder. Denn wie soll man als ständig im Existenzrecht Bedrohter reagieren, nachdem der Wunsch an Annäherung und Abrüstung nicht nur in der eigenen Nation, sondern auch bei der internationalen Öffentlichkeit riesig ist – aber bei den Dschihadisten auf taube Ohren stößt?
Ein echtes Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit war von palästinensischer Seite kaum zu erwarten…
Eigentlich war ein Rückzug der Armee hinter gezogene Demarkationslinien vorgesehen. Aber kann Jerusalem um der äußeren Erwartung willen das Risiko eingehen, dass sich die Extremisten neu aufstellen, weiter radikalisieren und den Kampf wieder aufnehmen? War man zu blauäugig, hatte einem Gesprächspartner Vertrauen geschenkt, der in seiner Gründungscharta festhielt: „Die Stunde wird kommen, da die Muslime gegen die Juden solange kämpfen und sie töten, bis sich die Juden hinter Steinen und Bäumen verstecken. Doch die Bäume und Steine werden sprechen: ‚Oh Muslim, oh Diener Allahs, hier ist ein Jude, der sich hinter mir versteckt. Komm und töte ihn!'“? Laut einer Umfrage unter palästinensischen Zivilisten halten aktuell noch immer 50 Prozent den Angriff vom 7. Oktober 2023 für richtig, 90 Prozent lehnen jegliche Normalisierung des Verhältnisses zu Israel ab. 91 Prozent leugnen Gräueltaten ihrer Anführer, 76 Prozent befürworten den militanten und gewaltsamen Widerstand. 84 Prozent stehen eindeutig hinter islamistischer Tyrannei gegenüber den „Zionisten“, die Präferenz für Verhandlungen steigt nur geringfügig.
Da hatte sich nicht nur der Pontifex mit seinen Hoffnungen weit vorgewagt…
War es naiv und gutgläubig zugleich, ziemlich überstürzt und mit viel Optimismus darum zu bitten, dass „Gott […] alle Wunden zu heilen und mit seiner Gnade dabei zu helfen [vermöge], das zu vollbringen, was menschlich gesehen jetzt unmöglich erscheint: wiederzuentdecken, dass der andere kein Feind ist, sondern ein Bruder, den man anschauen, dem man vergeben und dem man die Hoffnung auf Versöhnung schenken muss“, wie es Papst Leo XIV. im jüngsten Angelus-Gebet tat? Bundeskanzler Merz spricht bereits von „Wiederaufbau“ und einer „Nachkriegsordnung“, der britische Premier Keir Starmer prognostizierte: „Wir werden mit Partnern zusammenarbeiten, um eine stabile Zukunft für die Region zu sichern“. Etwas rationaler und zurückhaltender gibt man sich im Nahen Osten selbst. Der ägyptische Staatschef Abdel Fattah el-Sisi meinte nur: „Wir hoffen, dass die Ankündigung […] dazu beiträgt, die Aggression, Zerstörung und Tötungen im Streifen und den besetzten […] Gebieten zu beenden“. Und deutliche Zweifel gibt es vom katarischen Oberhaupt Mohammed bin Abdulrahman Al Thani: „Das Abkommen ist lediglich ein Schritt nach vorn“.
Wird sich dieser Konflikt vielleicht niemals wirklich befrieden lassen?
Möglicherweise im Wissen um die Komplexität des Konfliktes, dessen Wurzeln bis ins 12. Jahrhundert vor Christus zurückreichen, als sich die Philister nahezu zeitglich mit den Israeliten an der südöstlichen Küste des Mittelmeeres niederließen, sind manche Perspektiven gedämpft. Stellvertretend stand schon das biblische Ringen zwischen David und Goliath für die jetzigen Spannungen. Historisch gesehen war mit der Besiedlung der Kanaanäer in der Region von Jericho bereits zur Spätbronzezeit ein vermeintliches Kräfteverhältnis gesetzt. Auch nach der römischen Eroberung und der Zerstörung des Zweiten Tempels blieb das Gebiet weitgehend von „muslimischer“ Bevölkerung bewohnt. Gleichzeitig existierte eine fortwährende Diaspora von Juden um Jerusalem und Hebron, die als Argument dafür herhält, im Gleichklang mit dem in den Pogromen des Europas der Neuzeit an erlittenem Unrecht und der alttestamentarischen Auserwählung ein heiliges und gelobtes Land zu beanspruchen, welches jedoch mit der im Oslo-Abkommen von 1995 ausgehandelten Autonomie der Palästinenser zu kollidieren scheint. All das macht Einigung und Kompromiss kaum absehbar.