Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Aus Psychiatrie geflohen: Suche nach Montassar D. bislang noch ohne Erfolg“ (aus: „TAG24“ vom 01.12.2025)
Es war vor allem eine Notiz in den regionalen Blättern, die für Verunsicherung in der Bevölkerung gesorgt hatte. Aus dem Zentrum für Psychiatrie Reichenau im Landkreis Konstanz war der 20-jährige Montassar D. am Mittag des 29. Novembers 2025 geflohen. Rund 24 Stunden später begann die Polizei mit einer Öffentlichkeitsfahndung, um die Menschen einerseits um Mithilfe bei der Suche zu bitten, aber gleichzeitig davor zu warnen, den entkommenen Straftäter anzusprechen. Immerhin konnte nicht ausgeschlossen werden, dass er sich dritten Personen gegenüber gefährlich verhält. Seine bisherige Akte ist ordentlich, hatte er am 1. Mai 2024 versucht, in einer Asylunterkunft in Trossingen einen Mitbewohner mit mehreren Messerstichen zu töten. Aufgrund einer paranoid-schizophrenen Wahnstörung wurde er als schuldunfähig in die Forensik eingewiesen, konnte allerdings in den vergangenen Monaten therapeutische Fortschritte erzielen, was eine Lockerung der Sicherheitsmaßnahmen zur Folge hatte. Bei einem von zwei Pflegern begleiteten Ausgang mit fünf weiteren Insassen entkam er dann in unbekannte Richtung. Für den ärztlichen Leiter der Einrichtung eine völlige Überraschung, erweist sich der Fall möglicherweise als exemplarisch dafür, was nicht zuletzt auch in unserem System der vermeintlichen Samthandschuhe falsch läuft.
Sind wir zu gutgläubig, was die Vorhersagekraft von Experten-„Assessments“ angeht?
Dass er sich auf dem Klinikgelände unter Aufsicht bewegen konnte, war möglicherweise einer zu optimistischen Prognose geschuldet. Sein Zustand habe sich „deutlich gebessert“, ließ der Medizinische Direktor verlautbaren. Es wurde kein Risiko „erneuter schwerer Übergriffe“ mehr angenommen. Entsprechend fiel die Entscheidung auf Grundlage des „Psychisch-Kranken-Hilfegesetzes“ von Baden-Württemberg, das zu einer Rehabilitation verpflichtet, um einen Fortschritt der Wiedereingliederung zu fördern. Trotz des Einsatzes von Suchhunden und Hubschraubern blieben bisher alle Maßnahmen, den 1,87 Meter großen Mann aufzuspüren, ohne Erfolg. Und so stellt sich die Frage, was sich am Umgang mit den rund 6.000 im Maßregelvollzug in Deutschland befindlichen Patienten ändern muss, damit sich solche Vorkommnisse nicht weiter häufen. Einerseits müssen wir uns ehrlich machen, ob Gutachter heutzutage nicht allzu reflexartig ein Urteil über jene fällen, die gegebenenfalls auch zur Simulation fähig sind. Man kann auch ihnen nur vor den Kopf schauen, weisen Experten wiederkehrend darauf hin, dass nicht jede Radikalisierung zwingend mit einer seelischen Erkrankung einhergehen muss. Beispielsweise ist es Prof. Dr. Volker Faust, der die ideologische Voreingenommenheit von Sachverständigen regelmäßig brandmarkt.
Kann es vertretbar bleiben, Straftäter in „therapeutischen Einrichtungen“ unterzubringen?
„Traumatische Fluchterfahrungen“ bei Migranten werden häufig als Ausrede für Kriminalität instrumentalisiert, längst nicht alle Gewalttäter seien auch krank, Schuldunfähigkeit werde zu leicht festgestellt, betont die Forensikerin Frederike Höfer. Auch Prof. Renate Volbert sieht in Gutachten oft Fehlerhaftigkeit und Subjektivität, der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof, Dr. Axel Boetticher, bemängelt, dass Einschätzungen selten die Mindestanforderungen an eine detaillierte Anamnese erfüllten. Eine Flucht vor der Komplexität von Fällen führe zu Ungenauigkeit, die „verminderte Einsichtsfähigkeit“ habe in der Praxis kaum Relevanz und werde ignoriert, sagt Prof. Dr. Norbert Nedophil. Und dann gibt es da auch noch die Kritik an den sogenannten Assessments, anhand derer die Vorhersage getroffen wird, welche Bedrohlichkeit von einem Betroffenen ausgeht, die sich bisher allzu selten auf Meinungen Dritter (auch der KI) stützen. Daneben ist es eine Diskussion wert, ob Kriminelle in therapeutischen Anstalten untergebracht werden sollen, die explizit nicht den Standards in Gefängnissen entsprechen. An Personal und Überwachungstechniken mangelt es allzu oft, hinzu kommen kulturelle und sprachliche Barrieren, die die Behandlung verkomplizieren. Und so besteht dringender Nachholbedarf, um der öffentlichen Sicherheit willen.







