Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Israel greift Iran an: Krieg führen, um den Krieg zu verhindern“ (aus: „taz“ vom 15.06.2025)
Sind wir als Deutsche insbesondere aus historischen Aspekten dazu verpflichtet, in jeder außenpolitischen Fragestellung Position und Stellung beziehen zu müssen? Natürlich leben auch wir in einem globalen Gefüge, das durch seine Komplexität und Sensibilität bei jeder noch so kleinen Veränderung teils gravierende Auswirkungen auch auf uns hat. Doch was treibt Politiker wie Journalisten an, reflexartig und in einem vorauseilenden Gehorsam Solidarität mit diesem und jenem Partner zu zeigen, handelt er im Zweifel durchaus kritikwürdig und unangemessen? Ob es nun der Angriff von Israel auf den Iran ist, der Krieg zwischen der Ukraine und Russland oder Konflikte aus der Vergangenheit, exemplarisch die militärische Auseinandersetzung in Afghanistan oder im Irak: Sie polarisieren und spalten. Dort, wo sich der sogenannte Wertewesten bisher einmischte, kam selten etwas Positives heraus. Die Taliban sind gestärkter denn je zurückgekehrt, der Islamismus hat gesiegt. Und in Bagdad fand man jene Massenvernichtungswaffen nie, die doch eigentlich als wesentlicher Grund angeführt wurden, um die entsprechende Invasion zu rechtfertigen. Es sind also oftmals geopolitische Ambitionen der USA und der NATO, aber auch eine Hybris der gesamten Hemisphäre, die sich moralisch als etwas Besseres darstellt denn der Rest der Welt, welche manch Eskalation provozieren.
Wie nah war das Mullah-Regime tatsächlich an der Atombombe? Bislang können wir uns lediglich auf eine Behauptung von Ministerpräsident Netanjahu stützen. Doch Informationen aus Jerusalem sind in dieser Angelegenheit sicher keine unabhängige Quelle. Zumal Skepsis auch deshalb angebracht ist, weil bis heute die Rolle des Geheimdienstes im Vorfeld des Terrors der Hamas am 7. Oktober 2023 weiterhin ungeklärt bleibt. Wie zuverlässig sollen also bloße Narrative sein, von denen mittlerweile Unmengen kursieren, die ob ihrer Tendenz nur bedingt tragfähig erscheinen? Erzählungen, was den Klimawandel betrifft, damals die Corona-Pandemie, den Umsturz auf dem Maidan in Kiew, einen Einmarsch Putins in Berlin vielleicht schon in vier Jahren, sind stets interessengeleitet. Nur deshalb zu vertrauen, weil es uns eine Staatsräson gebietet, ist zumindest für mich als Journalist nicht hinreichend, um übereifrig Partei zu nehmen. Denn es mutet doch kurios an, warum man sich ausgerechnet jetzt dazu entschieden hat, der vermeintlich nuklearen Instandsetzung Teherans ein Ende zu bereiten. Der amerikanische CIA hatte vor noch nicht allzu langer Zeit unterstrichen, dass es keine Hinweise gebe, wonach die Revolutionsgarden die militärische Nutzung des angereicherten Urans anstrebten. Die wissenschaftliche Forschung in Natanz habe von diesem Ziel abgelassen.
2006 ließ der Bundesnachrichtendienst allerdings völlig gegenläufig verlautbaren, dass die Ajatollahs mit ihrem Programm der Hochrüstung kurz vor der Schwelle zum einsatzfähigen Waffengebrauch stünden. Wie sind diese Widersprüche am Ende sachgerecht, objektiv und distanziert zu deuten und zu werten? Möchte man man von dem mittlerweile aus vielen Staaten als unverhältnismäßig angeprangerten Vorstoß in den Gazastreifen ablenken? Will sich ein Regierungschef möglicherweise vor einem regulären oder herbeigeführten Abgang das Lebensziel erfüllen, sein jüdisches Volk vor sämtlichen Gefahren aus der Nachbarschaft langfristig bewahrt zu haben? Weshalb eröffnet man gleichzeitig so viele Baustellen, hätte man bei einer konkreten Bedrohung doch schon deutlich früher reagieren können? Propaganda und Einflussnahme sind aktuell immens, das Bestreben aller Seiten um das Gewinnen der Deutungshoheit kennt kaum Grenzen. Deshalb bleibe ich im Status eines bloßen Beobachters, der sich nicht drängen lässt zu einer bestimmten Perspektive, ist sie doch auch deshalb kaum erforderlich, weil wir Konsequenzen und Folgen dieses neuen Brandherdes für unser Territorium bei Bedarf innenpolitisch regeln müssen. Und dabei ist es nicht nur nachrangig, sondern gänzlich überflüssig, ob ich nun zu Akteur A oder B tendiere. Denn ich bin allenfalls Schwarz-Rot-Gold etwas schuldig.