Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Amerika geht es wie Israel: Gewalt gegen Iran ist noch keine Lösung“ (aus: NZZ vom 20.06.2025)
Bist du für Israel oder den Iran? Unterstützt du die Ukraine oder Russland? Zeigst du Verständnis für die Palästinenser oder eher für Netanjahu? Gehörst du zum Team Trump oder Biden? Präferierst du Selenskyj oder Putin? Nicht nur in den sozialen Medien machen in diesen Tagen zahlreiche Umfragen die Runde, in denen die Nutzer aufgefordert werden, sich in außenpolitischen Belangen zu positionieren. Wer sich nicht auf die eine oder die andere Seite schlägt, wird im Zweifel beschimpft, wahlweise aber auch mit dem Vorwurf des Antisemiten, des Kreml-Knechts oder des Mullah-Befürworters konfrontiert.
Man fragt sich, ob diese Gesellschaft nicht schon genug Spaltung ertragen muss, leben wir uns in einer Epoche zunehmend auseinander, in der Freundschaften und sogar familiäre Bindungen entlang ideologischer Ansichten verlaufen. Spätestens seit der Corona-Pandemie sind wir polarisiert, denken oftmals in vorgefertigten Schubladen und ohne jedes Verständnis für eine anderslautende Überzeugung. Da gibt es nur noch ein Schwarz-Weiß, weil Differenzierung ohnehin allzu anstrengend ist. Wer mit Plakativen und Schablonen eine auf schlichten Erzählweisen beruhende Absolutheit einfordert, wird kein Interesse daran haben, sich Ungereimtheiten oder Argwohn zu stellen.
Warum in die Ferne schweifen, wenn die Zukunft entscheidet sich so nah?
Doch wollen wir es tatsächlich zulassen, dass dank vieler Nebelkerzen der Eindruck entsteht, unsere Zukunft entscheide sich im Donbass, im Nahen Osten oder am Persischen Golf? Oder würde es nicht zur Ehrlichkeit dazugehören, dass der Kulturkampf in der Hamburger Fußgängerzone, im Freibad von Köln-Marxloh oder im Frankfurter Bahnhofsviertel ausgefochten wird? Warum lassen wir uns von Konflikten auseinandertreiben, mit denen wir nur sehr bedingt etwas zu tun haben, finden sie fern unserer Heimat statt – und sind darüber hinaus in ihrer Komplexität, den historischen Zusammenhängen und der Vielfalt an unbelegten Informationen bestens dazu geeignet, durch Propagandisten für ihre Zwecke missbraucht zu werden?
Was hat es noch mit einer offenen Debattenkultur zu tun, darf man Fragen und Zweifel am Vorgehen Jerusalems deshalb nicht äußern, würde man ansonsten gegen die Staatsräson verstoßen? Und weshalb sollte man sich um einen Diskurs bemühen, florieren doch die Totschlagargumente? Wird die Geschichte instrumentalisiert, um damit einen Blankoscheck für diejenigen auszustellen, welche immer wieder darauf verweisen können, stets von allen Seiten bedrängt worden zu sein, erübrigt sich alle Erwartung an Objektivität.
Kommentar und Meinung müssen nicht um des Prinzips willen einseitig ausfallen!
Selbst der Journalismus verfällt diesbezüglich immer mehr in Tendenziösität und Voreingenommenheit, nimmt er reflexartig Partei, obwohl im Augenblick doch so manche Entwicklung beispielsweise an den Einmarsch im Irak erinnert, in dem nie Massenvernichtungswaffen gefunden wurden, aber das Narrativ herhalten musste, um sogenannte westliche Werte zu implementieren, was schlicht zu übersetzen ist mit dem Anspruch auf Rohstoffe, globale Vormachtstellung und der Demonstration einer Hybris, ethisch und sittlich besser zu sein als der Feind.
Doch daran muss Skepsis herrschen, zögert der US-Präsident vielleicht auch deshalb so lange mit der Überlegung, sich am militärischen „Präventivschlag“ gegen Teheran zu beteiligen, war es doch die eigene CIA im Jahr 2023, welche einigermaßen gesichert davon ausging, dass das Regime keine Weiterentwicklung seiner Urananreicherung betreibe. Vorwände und Behauptungen werden ohne Not zu Tatsachen und Wahrheiten umgedeutet, lassen sie sich tugendhaft aufladen mit einem Geist der Arroganz, ein auserwähltes Volk besitze einen Freifahrtschein, der möglicherweise nicht zwingend zur Existenzsicherung dient, sondern als Ablenkungsmanöver vom ebenfalls jedes Maß verlierenden Krieg im Gazastreifen.