Replik von Dennis Riehle zur Neuerscheinung „Der Fall Latzel – Ein Rufmord mithilfe der Justiz“
Wo findet die unbehelligte Rede ihre Grenzen, was darf man heutzutage noch sagen? In einer Atmosphäre der zunehmend eingeschränkt wirkenden Meinungsfreiheit stellt sich diese Frage unter anderem auch deshalb, weil Ermittlungsbehörden, Justitia und Medien dazu tendieren, voreilig und reflexartig Auffassungen als strafrechtlich relevant zu werten, die möglicherweise vor höheren Instanzen ausdrücklich dem Schutzbereich des Artikels 5 unseres Grundgesetzes zugeordnet würden. Doch wann geht eine Äußerung tatsächlich weit über den guten Geschmack hinaus, welche zugespitzte Kritik muss eine Gesellschaft im Zweifel ertragen können? Exemplarisch lässt sich dieser schwierige Komplex anhand des Umgangs mit Pastor Olaf Latzel diskutieren. Immerhin eignet er sich – neben vielen anderen prominenten Fällen, die zur Anklage führten – nur allzu illustrativ und bestens zur Erörterung darüber, ob die Gewalten in Deutschland deutlich über ihr Ziel hinausschießen. Trotzdem wäre eine reflexartige Parteinahme verfrüht. Denn was dazu einlädt, vollkommen angebrachte und notwendige Skepsis am System zu artikulieren, erweist sich in der differenzierten Betrachtung als weitaus facettenreicher, um der Versuchung einer vorschnellen Konklusion, einer oberflächlichen Bilanz zu erliegen.
Es war zwingend geboten, den jahrelangen Schauprozess gründlich zu hinterfragen!
Ich selbst habe zu dem äußerst differenzierten und anspruchsvollen Sachverhalt noch im Jahr 2022 einen entsprechenden Kommentar für die Zeitung „Sonntagsblatt“ verfasst. Damals gelangte ich zu dem klaren und unmissverständlichen Schluss, dass das Landgericht Bremen mit seinem Freispruch insbesondere der Bibel einen Bärendienst erwiesen hat. Es ging um die schlichte Einordnung, ob die in einem mehrstündigen Eheseminar gefallenen Ausdrücke und Formulierungen „Genderdreck“, „Homo-Lobby“ sowie „Überall laufen diese Verbrecher rum, von diesem Christopher-Street-Day“ den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen. In erster Instanz wurde dieser Vorwurf als erwiesen angesehen, eine Geldstrafe von 8.100 Euro verhängt. Diese Verurteilung hatte auf nächsthöherer Ebene allerdings keinen Bestand, um in der weiteren Folge noch einmal durch das zuständige Oberlandesgericht revidiert zu werden. Man verwies den Prozess zur neuerlichen Verhandlung zurück, um am Ende zu einer zähen und zermürbenden Einstellung des Verfahrens zu gelangen, verbunden mit der Auflage, 5.000 Euro für einen gemeinnützigen Zweck zu zahlen. Der Pfarrer selbst formulierte unterdessen eine Entschuldigung und hatte schwere Fehler eingeräumt, die er zutiefst bedauere. Er wollte das Drama nicht weiter in die Länge ziehen, war diesbezüglich sein durchaus selbstloses Credo.
Dass sich ein jahrelanges Tauziehen um die faire Kontextualisierung der bei gesundem Verstand zu Anstößigkeit führen müssenden Termini zu einem Skandal entwickelte, lag nicht am rechtlichen Vorgang selbst. Sondern an der Hetzjagd, die man daraus machte. In diesem Zusammenhang dürfte man die Herausgabe eines Werkes der beiden Autoren Dr. David Wengenroth und Dr. Felix Böllmann sehen – und ohne Zweifel dringend begrüßen. Unter dem Titel „Der Fall Latzel – Ein Rufmord mithilfe der Justiz“ arbeiten sie akribisch wie dezidiert eine zum Politikum gewordene Begebenheit auf, die eigentlich nicht hätte für Aufsehen sorgen müssen, wäre manch ein reißerischer Kollegen weniger wie ein Aasgeier auf das Thema gestürzt, sondern in einem ruhigen und umsichtigen Ton um das Ausdrücken einer divergierenden Meinung zu der des Theologen bemüht gewesen. Doch es kam anders. Und deshalb hat das Duo aus Journalist und Rechtsanwalt mit ihrem Attest ohne jeden Zweifel den Nagel auf den Kopf getroffen, wenn sie in ihrem rund 200 Seiten starken Manifest zu dem Ergebnis kommen, dass „in den vergangenen fünf Jahren eine öffentliche Rufmordkampagne“ über den 58-Jährigen hereingebrochen sei, an der sich auch „Vertreter der Evangelischen Kirche, der Medien, der Politik“ beteiligten. Und ja, mit Blick auf diese Diagnose gibt es nichts zu rütteln.
Die Vorführung des evangelikalen Pfarrers war nicht nur aus biblischer Sicht ein Pranger!
Und ja, „sie diffamierten ihn als Schwulenhasser und Hetzprediger“. Ich selbst habe mich in meinem Beitrag hoffentlich ausgewogener gezeigt, als ich formulierte: „Letztendlich stehen zwei Rechtsgüter gegenüber: Die Meinungs- und Religionsfreiheit des anfangs Beschuldigten einerseits, der Schutz des gesellschaftlichen und sittlichen Friedens und die Wahrung bestimmter Bevölkerungsgruppen vor einer grundrechtswidrigen Herabwürdigung durch Hassaussagen andererseits“. Denn ich bleibe bei meiner Überzeugung: Es ging dem Diener Gottes um mehr als das, was die zwei Verteidiger in ihrem Manuskript als Intention zu transportieren versuchen. Sie behaupten, die Einlassungen des Evangelikalen drehten sich um „einen wahrgenommenen moralischen oder kulturellen Verfall“ der Gesellschaft. Doch diese Verallgemeinerung tendiert zum Euphemismus. Natürlich wurden die möglicherweise nur beiläufig und im Affekt getätigten Bemerkungen explizit an Schwule und Lesben adressiert. Etwas Anderes lässt sich aus den dezidierten Begrifflichkeiten nicht lesen. Daher nehme ich Latzel heute nicht in Schutz vor dem aus meiner Sicht notwendigen Anwurf, sich rhetorisch massiv vergriffen zu haben. Aber ich bescheinige ihm, seinerseits Opfer von Ehrverletzung, Hatz und Kampagne geworden zu sein.
Die Normierung in § 130 StGB besagt: „Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, […] gegen Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft“. Es bedarf einer abgrenzbaren Gruppe, um die Anwendbarkeit des Paragrafen zu rechtfertigen. Fügt man das durch den Kleriker verwendete Vokabular über die „Homosexualität als Degenerationsform der Gesellschaft“ mit der oben konkret gewordenen Personalisierung der „Homo-Lobby“ und „Verbrecher“ zusammen, scheint sich die Anforderung aus dem Gesetzestext zu erfüllen, muss es sich laut herrschender Auffassung beim Tatobjekt um eine „durch gemeinsame Merkmale verbundene Mehrzahl von Menschen“ handeln, „die sich hierdurch von den anderen abhebt“. Insbesondere umfasst sind damit inländische Minderheiten. Ob es sich bei der Titulierung als „Verbrecher“ um ein für die Volksverhetzung hinreichendes Sprachgut handelt, hat indirekt das Bayerische Oberlandesgericht in einem Beschluss vom 10.04.2025 (Az.: 204 StRR 56/25) beantwortet. Demnach sei dies zu bejahen, werde es „nicht im Zusammenhang mit einer zulässigen Kritik an der Politik eines Staates“ verwendet, sondern stattdessen auf eine bestimmt „abgrenzbare Personenmehrheit“. Hiervon ist in der vorliegenden Gemengelage auszugehen.
Hier wurde aus einer geringfügig strafbaren Mücke ein medial-juristischer Elefant gemacht!
Ich gehe mit der Einschätzung Wengenroths und Böllmanns konform: „Der Sinn des Straftatbestandes ‚Volksverhetzung‘ ist also nicht, alle scharfen, überspitzten oder polemischen Äußerungen zu verhindern. Man könnte fast sagen: Im Gegenteil“. Doch wo verläuft die Schranke? Handelte es sich lediglich um eine geharnischte Verbalattacke gegen eine von Fetischismus und Vulgarität getragene Bewegung auf unseren Straßen, die mit Hundemasken und Windeln auf ihren Paraden nicht nur zum Unmut erregenden Ärgernis werden, sondern zivilisatorische und konventionelle Grundsätze in Lasterhaftigkeit und Tugendschwäche über den Haufen werfen? Oder war es doch eine ernstgemeinte Geringschätzung von gleichgeschlechtlich Liebenden, um sie in ihrer Integrität und Dignität herabsetzen zu wollen? Diesbezüglich ist wohl ein Blick auf die weltanschauliche Verortung des auf „YouTube“ viele Anhänger findenden Charismatikers in ihrer Gesamtheit zu werfen. Dass sich Latzel wiederholt damit verteidigte, „die Sünde, aber nicht den Sünder“ zu schmähen, lässt sich kaum halten. Bereits 2008 hatte er angeboten, eine auf dem unter Evangelikalen stets gut besuchten und für manch traditionalistisch wirkende Botschaft berühmten „Christival“ abgesetzte Veranstaltung unter der Überschrift „Homosexualität verstehen – Chance zur Veränderung“ in den Räumen seiner Sankt-Martini-Gemeinde stattfinden zu lassen. Ein Termin, der in Sachen Barmherzigkeit allerdings schon alleine deshalb heikel war, weil die vermittelten Inhalte bereits früher auf Argwohn stießen.
Es sollte um die sogenannten „Konversionstherapien“ gehen, die seit 2020 in Deutschland nicht zuletzt aufgrund ihrer potenziell schwerwiegenden Nebenwirkungen auf die Psyche der Betroffenen verboten sind. Lässt sich der Mensch von einer Eigenschaft trennen, kann eine Dissoziation zwischen Uranismus und dem Rest seiner Wesenseinheit tatsächlich stattfinden? Oder muss ein Angriff auf einen einzelnen Aspekt nicht auch als Respektlosigkeit gegenüber der Unbescholtenheit, Makellosigkeit und Rechtschaffenheit des kompletten Individuums verstanden werden? In diesem Zusammenhang nicht gänzlich ohne Belang ist die biblische Exegese einschlägiger Verse. Insbesondere steht dabei 3. Mose 18,22 im Vordergrund: „Du sollst nicht mit einem Mann liegen, wie man mit einer Frau liegt; das ist ein Gräuel“. Betrachtet man die Übersetzung und wirft einen Blick in die hebräische Ursprungsversion, so lautet sie bei buchstabengetreuer Transferierung: „Du sollst nicht beim Knaben liegen wie beim Weibe; denn es ist ein Greuel“. Setzt man diese Zeile wiederum in den historischen Hintergrund des entsprechenden Kapitels, so liegt der Verdacht nahe, dass hier nicht von homoerotischer Praxis, sondern Pädophilie die Rede ist. Und hier sind wir uns einig: Sie ist tatsächlich ein „Greuel“.
Die biblische Sichtweise über eine Verwerflichkeit homosexueller Praxis muss erlaubt sein!
Gleichsam ist es natürlich unter Berücksichtigung der Glaubensfreiheit nach Artikel 4 Grundgesetz zulässig, auch von einer Widernatürlichkeit des Geschlechtsaktes zweier gleicher Pole auszugehen. Entscheidend bleibt aber einerseits die Frage, ob damit lediglich das Verhalten gerügt und getadelt wird. Oder ob man aus selbigem Rückschlüsse auf Ruf, Prestige und Leumund zieht. Und inwieweit es bei einer subjektiven Perspektive bleibt, die gerade nicht in einer gewissen Polemik im zumindest halböffentlichen Raum, dem Vernehmen nach ziemlich ertüchtigend und aufwiegelnd daherkommend, als Bekundung in einer beruflichen und damit repräsentativen Rolle verbreitet wird. Beide Prämissen werden sich im vorliegenden Fall nur distanziert einordnen lassen, erkennt man an, dass selbst bei einer Strafbarkeit Latzels die Schuld marginal geringfügig gewesen ist. Sie stand in keiner Relation zu jenem Kesseltreiben, welches von „taz“ bis Landesbischof, von Staatsanwaltschaft bis Parteivertretern in einer Stimmung, das Gegenüber mit unliebsamem Blickwinkel zum Freiwild zu erklären, massiv forciert und bis zu einer Pirsch aufgepeitscht wurde. Diese außerordentliche Form der Dramatisierung entspringt einem Konzept, einer mittlerweile etablierten Masche der sogenannten Wokeness.
Sie sieht sich als der wachsame Ladenhüter im Gemischtwarenangebot vermeintlich hehrer Interessenvertreter, den laut Umfragen immer weniger Deutsche als Institution für eine liberale Volksherrschaft sehen, sondern unter dem Deckmantel von Toleranz und Vielfalt, in Androhung einer Antidiskriminierungskeule agierend, als Weggabelung in Richtung despotischer Zustände. Richtigerweise bringen es die beiden Publizisten auf den Punkt: „Der freiheitliche Diskurs galt lange als das Bollwerk der demokratischen Gesellschaften gegen den Totalitarismus. Heute gibt es eine starke Tendenz, ihn durch Gesetze, Auflagen und andere staatliche Eingriffe einzuhegen, um ‚Hass‘ zu bekämpfen oder ’soziale Harmonie‘ zu sichern. In Wirklichkeit entsteht dabei jedoch ein Klima der Einschüchterung und der moralischen Gleichschaltung“. Schon allein unter dieser Gesamtschau, gerade aus der Erfahrung der vergangenen Jahre, bin ich heute tendenziell „pro Latzel“. Denn seine Causa war in der Retrospektive fähig, nicht nur aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Sondern einen Geist der Angst und Rücksichtnahme hervorzurufen, vor dessen Angesicht alles auf die Goldwaage gelegt werden muss, weil andernfalls emanzipierte, selbsternannte Tugendwächter, losgelöst von jedwedem Paragrafen, das Zepter übernehmen.
Das Buch „Der Fall Latzel – Ein Rufmord mithilfe der Justiz“ von Autoren Dr. David Wengenroth und Dr. Felix Böllmann erscheint am 10.10.2025 im Fontis-Verlag unter ISBN: 978-3-03848-305-2.
Transparenzhinweis: Der Autor der vorliegenden Replik, Dennis Riehle, ist Journalist, Publizist, Berater und Autor. Er verfasste den Text auf eigene Initiative und ohne Gegenleistung.