Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Constantin Schreiber über den Fall der NDR-Moderatorin Julia Ruhs: ‚Schweigen bringt nichts!'“ (aus: BILD vom 18.09.2025)
Kognitive Dissonanz ist in unseren Tagen ein weit verbreitetes Phänomen. Sich selbst in Aussagen zu widersprechen, gegensätzliche Positionen einzunehmen, die miteinander normalerweise unvereinbar wären, scheint offenbar auch deshalb eine Tugend geworden zu sein, weil man sich im Spagat zwischen der Erfüllung einer angeblichen Mehrheitsmeinung einerseits und einem Hochhalten des Rests an eigenen Prinzipien andererseits nicht wirklich entscheiden kann. Getrieben von der progressiven Moralkeule, verbiegt man sich im Zweifel bis zur Unkenntlichkeit. So geschehen aktuell auch bei der „Berliner Zeitung“, die in einem äußerst merkwürdigen Kommentar für Aufsehen sorgt. Denn normalerweise ist sie dafür bekannt, die unbehelligte Rede entsprechend deutlich zu verteidigen, um als eine letzte Bastion unter den Leitmedien zu gelten, die sich nicht vom Druck einer wachsamen und diktierenden Zeitgeistmentalität beeindrucken lässt.
Wir sind nicht in der Pflicht, den ÖRR zu demaskieren; denn das tut er von alleine!
Was eigentlich als gut gemeinter Beitrag zur Entlarvung des ÖRR gedacht war, hinterlässt beim Leser einen erheblichen Kollateralschaden und Beigeschmack. Unter der Überschrift „Der NDR hat Julia Ruhs rausgeworfen – und das ist gut so“ ist der Betrachter zunächst gehalten, wahrhaftig davon auszugehen, Redakteurin Sophie-Marie Schulz billige und rechtfertige das Vorgehen des Senders gegenüber seiner Moderatorin, die einem linken Mob in den Reihen ihrer Kollegen zum Opfer fiel. Man hatte sie von der Präsentation des Formats „Klar“ abgesetzt, ließ sich von der „grünen“ Zuschreibung ihrer „charakterlichen Ungeeignetheit“ leiten. Dabei gilt sie als eine der integersten Journalistinnen in unserer Dekade, trägt sie die Monstranz des Konservativismus eisern und ohne jeden Anhalt auf Skepsis daran, dass wir unterschiedliche Sichtweisen nicht nur ertragen müssen, sondern in einem sachlichen, angemessenen und respektvollen Ton darüber diskutieren.
Sie schmäht kein Thema, will über die Negativfolgen der illegalen Migration sprechen. Damit ist sie zum Feindbild der sogenannten „Unsere Demokratie“-Bewegung geworden, die die Interpretation der Verfassung für sich beansprucht, wonach Vielfalt und Toleranz oberhalb von Unversehrtheit, Sicherheit und Identität eines Volkes angesiedelt seien. Und natürlich ist mit dem Entschluss, die 31-Jährige zunächst von der Mattscheibe zu verbannen, die Maske endgültig gefallen. „Das Erste“ ist durchsetzt von Ideologen, die das Hamburger Funkhaus in der Rothenbaumchaussee im Geiste von „L’État est à nous“ wie eine abgeschottete Insel der Eigenbrötlerei zu führen gedenken, ohne Rücksicht auf Verluste, weil man sich der Gebühren durch den deutschen Steuerzahler sicher sein kann. Schließlich muss er auch dann blechen, verletzt die Anstalt nicht nur die Publizistischen Grundsätze als Eckpfeiler unserer Branche, sondern gar den hehren Staatsvertrag.
Man hätte andere Beweise erbringen können, als ein Talent den Löwen zum Fraß vorzuwerfen!
War es also notwendig, dass man mit der Nachwuchshoffnung ein Opfer bringt, um der Republik zu zeigen, wie sehr der Parteienfilz innerhalb der Öffentlich-Rechtlichen das Sagen hat? Ich gehe diesbezüglich nicht mit der Auffassung der Kolumnistin aus der Hauptstadt konform. Immerhin ist es ein zwischenmenschliches Desaster voller Dreistigkeit und Schande, mit der versucht wird, die Karriere einer Frau zu torpedieren, die immer wieder neu Rückgrat und Courage zeigt, aber doch wahrlich nicht als Märtyrerin hergeschenkt werden sollte. Es hätte viele andere Möglichkeiten gegeben, noch einmal zu illustrieren, dass die ARD längst nichts mehr wissen will von berufsethischen Standards, sondern vor weltanschaulicher Vereinnahmung trieft. Wir brauchen keine Blutzeugen, die ihre Integrität entbehren, um der Nation deutlich zu machen, dass ein legendäres Zitat von Oskar Lafontaine momentan wie die Faust aufs Auge zutrifft: „Die Medien sind wie moderne Pranger“.
Hierarchisch geordnet, von der Führung abwärts mit Potenz versehen, herrscht ein strenger Wind voller Einseitigkeit und Tendenziösität, dem man nur dann entweichen kann, lässt man sich versetzen – oder reicht die Kündigung ein. Es sind die oftmals instabilen Beschäftigungsverhältnisse in einer hart umkämpften Zunft, die jene schweigen lassen, welche eigentlich laut ausrufen sollten, was mittlerweile ohnehin jeder zweifelnde Zuschauer erkannt haben dürfte. Der Opportunismus in weiten Teilen der vierten Gewalt lässt sich nicht nur aus der abgestumpften Verkommenheit pietätloser Urteile von Dunja Hayali oder Elmar Theveßen über Charlie Kirk ableiten. Wer nur für ein paar Minuten die „Tagesschau“ konsumiert, findet sich in einem Paralleluniversum wieder, das mit der tatsächlich wahrgenommenen Wirklichkeit so gar nichts gemein hat. Ein abgeschlossenes System, das nicht reformierbar ist, braucht entweder Austrocknung – oder seine Zerschlagung.