Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Joe Biden und Bill Clinton loben Donald Trump für Waffenruhe in Gaza“ (aus: „ZEIT Online“ vom 14.10.2025)
„Der Aberglaube macht die Gottheit zum Götzen, und der Götzendiener ist umso gefährlicher, weil er ein Schwärmer ist“, formulierte bereits Johann Gottfried von Herder, um mit diesem Zitat recht genau auf die momentane Verehrung des momentanen US-Präsidenten zu passen. Wohl noch immer erschüttert darüber, nicht den Nobelpreis erhalten zu haben, ließ er sich in der Knesset für eine ausgehandelte Verständigung zwischen Israel und den Palästinensern feiern, auf einer denkwürdigen Zeremonie in Ägypten die nach ihm benannte „Trump Declaration for Enduring Peace and Prosperity“ unterzeichnen. Zweifelsohne hat er mit seiner Einwirkung auf die unterschiedlichen Vermittler und Beteiligten erreicht, dass noch 20 lebende Geiseln des Überfalls der Hamas vom Oktober 2023 freigelassen wurden. Dass der 79-Jährige selbst von einem „historischen Durchbruch“ spricht, mag nicht verwundern. Die Aussage über einen „neuen Morgen für den Nahen Osten“ aus dem Munde von Bundeskanzler Friedrich Merz, dem katarischen Emir Tamim bin Hamad al-Thani und dem türkischen Machthaber Recep Tayyip Erdoğan scheint jedoch einigermaßen voreilig.
Ging es um Personenkult und die Geschichtsbücher, statt um Frieden und Verständigung?
Ein Waffenstillstand allein macht noch keinen Frieden, zumal die Muslimbruderschaft bereits Widerstand gegen die zweite Phase des Abkommens angekündigt hat, wonach sie sich entmilitarisieren und von jeder politischen Verantwortung im Gazastreifen abrücken soll. Der insgesamt 20 Punkte umfassende Plan sieht am Anfang eine Einstellung der Kämpfe vor. Von einer Übergangsregierung ist man dagegen jedoch weit entfernt. Garantien für eine Zwei-Staaten-Lösung gibt es ebenfalls nicht. Und ob man Terroristen wie Zivilisten von der Notwendigkeit eines Ablassens vom Dschihad überzeugen kann, scheint ohnehin ungewiss. Die Euphorie speist sich vor allem aus der Erleichterung der Angehörigen, die nunmehr ihre Liebsten in die Arme nehmen können. Aber auch aus der umgekehrten Übergabe von Inhaftierten der Gegenseite durch die Administration von Netanjahu. Man könnte von Symbolik über Substanz sprechen, gehen Fotos über die Signatur rund um den Globus. Wer aber wird 53 Milliarden für den Wiederaufbau zusteuern, wer kontrolliert den Küstenabschnitt fortan? Sind die Zusagen über eine Demarkationslinie für die Armee Jerusalems verbindlich?
Ein histrionisch wirkender Trippelschritt, der schnell wie Schall und Rauch vergehen könnte…
Es gibt zahlreiche ungeklärte Fragen in einer geostrategisch wie historisch höchst komplexen Angelegenheit, die sich nicht von jetzt auf gleich lösen lässt. Gebietsansprüche bleiben, die Willigkeit zur wechselseitigen Anerkennung scheint marginal. Viel zu sehr ist der Hass auf „die Zionisten“ schon in den Köpfen des Nachwuchses verhaftet, gebietet nicht zuletzt der Koran Feindschaft. Zwar wird das Einbinden möglichst vieler Akteure zu vorübergehender Stabilität und Entschärfung beitragen, doch eine Ideologie lässt sich nicht aus dem Gedächtnis jener tilgen, die die Erwartung hegen, das Gebiet vom Mittelmeer bis zum Jordan nach der Ansiedlung der Philister 1200 vor Christus gänzlich allein bewirtschaften zu können. Das Existenzrecht des „auserwählten Volkes“ steht weiterhin zur Disposition, darüber sollten Jubel und Glückseligkeit nicht hinwegtäuschen. Auch während des festlichen Aktes in Scharm el-Scheich schlugen Raketen im Kriegsgebiet ein, es gab Verzögerungen im Zeitplan. Das mögen nur kleine, aber bedeutende Wehmutstropfen sein. Denn „Nakba“, Intifada und Genozid-Vorwürfe bleiben der Region immanent.