Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Julia Ruhs: Plötzlich die Stimme der Konservativen im Bayerischen Rundfunk“ (aus: „Süddeutsche Zeitung“ vom 27.08.2025)
„Die Menschen glauben viel leichter eine Lüge, die sie schon hundertmal gehört haben, als eine Wahrheit, die ihnen völlig neu ist“, sprach der österreichische Schriftsteller Alfred Polgar. Und niemand weiß so genau, ob er damit ganz explizit das naiv-treue Publikum des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland gemeint haben könnte. Denn tatsächlich gewinnt man den Eindruck, viele Bürger lassen sich von Dunja Hayali immer wieder neu erzählen, wie sehr die Gefahr für die Demokratie von „Messer-Uwe“ ausgeht, als die Augen für den Umstand zu weiten, dass die Vornamen von Tätern schwerster Verbrechen – mittlerweile überproportional und statistisch nachgewiesen – eines migrantischen Klanglauts sind. Wie lange kann man in einer Blase leben und wirken, die eine Republik aus Milch und Honig, aus Vielfalt und Toleranz, aus Regenbogen und Geschlechterneutralität zeichnet, ehe man im Eingeständnis, sich möglicherweise über Jahre etwas vorgemacht zu haben, den Befreiungsschlag wagt? Es passiert selten genug, aus dem linksgrünen Dunstkreis zum eher konservativen Genre aufzubrechen.
Es kommt selten genug vor, dass der ÖRR einen Journalisten läutert…
Was genau den Kollegen Constantin Schreiber bewegt hat, die „Tagesschau“ als Moderator zu verlassen, wird am Ende sein Geheimnis bleiben. Es mag sein, dass es sich lediglich um ein Zurücklassen von Routine und Gewohnheit handelte. Für den außenstehenden Betrachter wirkt sein Wechsel zum Nachrichtenportal WELT allerdings durchaus wie eine Flucht nach vorne, schien er sich lange Zeit nicht zu Themen äußern zu dürfen, die ihm auf den Nägeln gebrannt haben. Der mehrsprachige und talentierte Journalist mit besonderer Kenntnis über die islamische Hemisphäre berichtet fortan aus Tel Aviv, kommentiert die Lage im Nahen und Mittleren Osten. In einem bemerkenswerten Beitrag für seinen neuen Arbeitgeber befasste er sich zum Start des nächsten Karriereabschnitts mit der grundlegenden Fragestellung, weshalb unsere Branche in einer tiefen Krise steckt. In eindrücklicher Ehrlichkeit attestierte er vor allem Fehler während der Corona-Pandemie. Er kritisiert eine Mentalität der Überheblichkeit unserer Presse, die nicht zuletzt durch die Erfindung der „Faktenchecker“ suggeriert, die Realität für sich gepachtet zu haben.
Neutral wird ein Mensch nie sein können, ausgewogen und unabhängig hingegen schon!
Wer den Anspruch auf Objektivität erhebt, muss ich stets gewiss sein, dass es in der Natur unserer Gattung liegt, uns selbst in einer bestimmten Rolle nicht gänzlich frei machen zu können von persönlichen und individuellen Präferenzen, von ideologischen oder politischen Vorzügen. Neutral werden wir schon allein deshalb nie sein, weil es zu unserer Jobbeschreibung gehört, nicht nur Informationen zu liefern, sondern sie auch in einen gewissen Kontext zu bringen. Wer analysiert und beleuchtet, Hintergründe recherchiert und Perspektiven präsentiert, der kommt nicht umhin, Positionen einzunehmen. Meinungen und Überzeugungen sind dabei ausdrücklich erwünscht, werden sie nicht zur Absolutheit deklariert. Die Kunst liegt darin, sich nach Möglichkeit auf die Metaebene zu begeben, von der aus man möglichst unvoreingenommen einen Blick auf das Geschehen wirft, welcher ohne kontinuierliche, massierte und erkennbare Parteinahme bleibt. Sich nicht abhängig zu machen von den restlichen drei Gewalten der Legislative, Exekutive und Judikative, um gleichzeitig auch private Sympathie für Personen oder Institutionen hintanzustellen.
Mahnung und Wegweisung gehören auf die Kanzel in der Kirche, nicht ins Fernsehen!
Dass sich ein Großteil unserer Zunft während des epidemischen Geschehens in moralischer Überheblichkeit auf die Seite derjenigen schlug, die Impfskeptiker verteufelten und Gegner der Grundrechtseinschränkungen an den Pranger stellten, ist ein unverzeihlicher Vorgang, welcher der Reputation des Publizistischen völlig zu Recht geschadet hat. Obgleich einem – aus dem Zusammenhang gerissenen – Zitat von Hanns-Joachim Friedrichs zu entnehmen ist, dass sich ein vorbildlicher Redakteur durch das „Nichtgemeinmachen“ auszeichnet, auch wenn es sich um den Reiz einer guten Sache handeln sollte, muss die Vorliebe unserer Berufssparte tendenziell eher in Richtung der Opposition gehen. Denn die Regierungen haben bereits ihre Sprachrohre, während der Dissident vor allem in einer Zeit kaum zu Wort kommt, die mit etwas Abstand despotisch und autoritär anmutet. Und so gilt der Auftrag unvermindert fort, weder erziehen noch belehren zu wollen, auf den erhobenen Zeigefinger zu verzichten und von einem Kuschelkurs mit der Obrigkeit die Finger zu lassen. Sondern sich stattdessen bewusst zu sein, dass selbst Tatsachen nur relativ sind.
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