Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Warum AfD-Mann Krah jetzt aus dem eigenen Lager angefeindet wird“ (aus: DER SPIEGEL vom 18.06.2025)
Nun sag‘, wie hast du’s mit dem deutschen Volk? – Eine abgewandelte Form der Gretchenfrage macht momentan die Runde. Angestoßen insbesondere durch den Abgeordneten Dr. Maximilian Krah, diskutiert man nicht nur in den sozialen Medien darüber, wer wir als Gemeinschaft eigentlich sind. Der Mandatar der AfD scheint mittlerweile davon auszugehen, dass die entsprechenden Normierungen des Grundgesetzes vor allem darauf hinauslaufen, ein Sammelsurium an Personen abzubilden, die sich allein in der Staatsbürgerschaft vereinen. Schließlich macht Artikel 116 darauf aufmerksam, dass die Legislative regeln kann, wen wir nach welchen Kriterien bei uns einbürgern. Demnach ist jener ebenbürtiges Mitglied in unserem Kollektiv, welcher zwar ein Passdokument in Händen hält, aber einigermaßen unbeeinflusst sein kann von der Maßgabe, Bereitschaft zur Anpassung und Eingliederung zu zeigen. Oftmals wird argumentiert, Karlsruhe habe entschieden, dass ein Verständnis der kulturell gewachsenen Einheit nicht mit der Verfassung in Einklang zu bringen sei. Das Gericht selbst verweist darauf, es habe mit Urteil des 17. Januar 2017 festgestellt, „dass die Vorstellung der ethnisch definierten Volksgemeinschaft zu einer gegen die Menschenwürde verstoßenden Missachtung von Ausländern, Migranten und Minderheiten führt (vgl. BVerfGE 144, 20 <267 ff. Rn. 698 ff.>)“.
Doch ist dem tatsächlich so? Ist das Beharren auf eine autochthone Mehrheit zwingend verbunden mit der Geringschätzung des Fremden allein aufgrund dessen Herkunft? Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass in einem Beschluss des 4. Februar 2010 ausdrücklich festgehalten wurde, wonach für einen Angriff auf die Menschenwürde definitionsgemäß hohe Hürden angelegt sind. Dieser sei „nur dann gegeben, wenn der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als unterwertiges Wesen behandelt wird“ (Az.: 1 BvR 369/04). Stellen wir also darauf ab, in unserer Gesellschaft ein Erscheinungsbild beibehalten zu wollen, welches in der Überzahl unserer Gegenüber auch anhand von phänotypischen Merkmalen eine Wiedererkennung garantiert, würden wir nur dann gegen wesentliche Prinzipien der demokratischen und freiheitlichen Ordnung verstoßen, erklärten wir Individuen oder Gruppen gänzlich zu einer zweiten Klasse, der wir Lebens- oder Existenzrecht absprechen. Doch das kann mitnichten dann der Fall sein, plädieren wir auf die Einhaltung des UN-Zivilpakts als übergeordnetes Rechtskonstrukt, in dem es heißt: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung“ (Art. 1 IPbpR). Es gibt also keine Pflicht zur Toleranz.
Eine deutsche Judikatur kann sich über diese Konvention nicht hinwegsetzen. Ohnehin wird den roten Roben oftmals allzu viel Macht zugebilligt, scheinen ihre Abwägungen ohne Tadel und Alternative. Dabei hat selbst die einstige Präsidentin Jutta Limbach in einem Aufsatz festgestellt: „Gewiß ist es Sache des Bundesverfassungsgerichts, die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der ihm unterbreiteten Regelung autoritativ zu entscheiden. Doch muß es eingedenk sein, daß die Antwort auf die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes das Ergebnis eines vielschichtigen Wertungsprozesses ist. Eine absolute Richtigkeit der Entscheidung gibt es nicht, zumindest ist sie für uns auf Erden nicht erreichbar. Die abweichenden Voten der Richterinnen und Richter zu vielen Entscheidungen sind ein Beleg für diese Einsicht“ (aus: Das Bundesverfassungsgericht als politischer Machtfaktor / Jutta Limbach / Hrsg.: Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Publisher, Speyer, 1995). Eine bedingungslose Nächstenliebe für jeden, der sich in unsere Richtung aufmacht und beabsichtigt, im Zweifel auch dann Bestandteil unseres Miteinanders zu werden, wenn hierfür keine nachvollziehbaren, plausiblen und belegbaren Gründe vorliegen, können wir auch deshalb nicht als bindende Richtlinie akzeptieren, weil das Asylrecht von den Urvätern unserer Republik dem ersten Gedanken nach eigentlich deutlich hätte eingeschränkt werden sollen. Doch es kam nahezu gegensätzlich.
So hieß es in der Stellungnahme des Allgemeinen Redaktionsausschusses zum Entwurf über das deutsche Grundgesetz vom 13. und 16. Dezember 1948: „Es empfiehlt sich nicht, das Asylrecht auch auf die politisch verfolgten Ausländer auszudehnen, da kein Anlaß besteht, das unbeschränkte Asylrecht auch unerwünschten Ausländern zu gewähren, insbesondere auch solchen, die aus ihren Heimatstaaten wegen aktiver Betätigung gegen die Demokratie in das Bundesgebiet geflüchtet sind“ (vgl. https://www.verfassungen.de/). Und es ist mitnichten so, dass ein Verstoß gegen den unter Ewigkeitsklausel stehenden Art. 1 GG schon dann gegeben sei, unterscheiden wir nach der Provenienz. Der Erste Senat beschloss am 7. Februar 2012: „Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber indessen nicht jede Ungleichbehandlung von Deutschen und Ausländern. Es ist dem Gesetzgeber nicht generell untersagt, nach der Staatsangehörigkeit zu differenzieren (vgl. BVerfGE 116, 243 <259>)“ (Az.: 1 BvL 14/07). Und er unterstrich noch einmal, das zum Deutschsein letztlich mehr gehört als nur ein Blatt Papier: „Deutscher Volkszugehöriger im Sinne des BVFG ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird“ (Beschluss vom 20.04.2007, Az.: 1 BVR 546/04). Ohnehin fragt man sich, wie ein Gefüge funktionieren soll, differenziert es sich immer weiter aus, ohne Bindendes und Verankertes zu wahren.
Der bekannte Lehrbeauftragte der Bucerius Law School, Dr. Philipp Overkamp, beschreibt in seinem wegweisenden Artikel „Formalismus erwünscht – Zum Volksbegriff der Verfassung“, das Staatsvolk sei „keine Kulturgemeinschaft, aber eben auch kein reiner Einwohnerverband“. Das bedeute, „dass Homogenität und Identität des Volkes als Ist-Zustände bei der Rechtsauslegung zwar berücksichtigt werden können – sie dürfen aber nicht als Soll-Zustände missverstanden werden“. Der Leiter des wissenschaftlichen Dienstes der CDU-Fraktion im thüringischen Landtag, Karl-Eckhard Hahn, schrieb passend hierzu in seinem Artikel „Zur politischen Bedeutung nationaler und ethnisch-kultureller Identität“ in „The European“ vom 08.04.2019: „Naheliegend ist dafür nach Lage der Dinge der Verfassungspatriotismus, nicht etwa als Surrogat für ein umfassendes Nationalbewusstsein, aber ganz sicher als Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für eine Identifikation mit Deutschland. Patriotismus war ursprünglich nicht ein verschämter Begriff für ein positives Nationalbewusstsein, als der er heute gelegentlich erscheint, sondern verband Gemeinsinn, Bürgertugend und Staatsmoral. Patriotismus diente der Entwicklung und Festigung einer inneren Bindung an das Gemeinwesen“. Er hebt damit auf den Umstand ab, dass unsere Staatsform dann nicht funktionieren kann, entkoppelt man den Souverän durch sein Recht auf Wahlen als Ausgangspunkt für alle Herrschaftsgewalt vom tradierten und prägenden Charakter.
Marion Detjen, deutsche Historikerin und Publizistin, veröffentlichte in einem Beitrag für „Die politische Meinung“ der Konrad-Adenauer-Stiftung in ihrem Beitrag unter dem Titel „Was ist das ‚Volk‘?“ unter anderem den Satz: „Die Regierungen müssen bei den Entscheidungen über Einbürgerungen auf den Ethnos des Demos Rücksicht nehmen“. Wir sind also nicht dazu verdammt, jeden Erstbesten in unsere Reihen aufzunehmen und ihm damit vor allem zahlreiche Zugeständnisse der Teilhabe, Partizipation und Absicherung zu gewähren. Die momentane Entwicklung geht weit über das hinaus, was man als verträgliche Bereicherung im Sinne einer möglichen Kompensation der demografischen Entwicklung begreifen könnte. Denn es sind nur noch wenige qualifizierte Fachkräfte, die zu Mitwirkung an Wohlstand, Wachstum und Prosperität ganz gezielt aus anderen Ländern angeworben werden, welche den Großteil der zuströmenden Migranten ausmachen. Viel eher überwiegen die nicht zum Zwecke der Arbeit ansiedelnden, sondern an Einwanderung in die Sozialsysteme interessierten „Flüchtlinge“ ohne anerkannte Bleibeperspektive und nachgewiesene Verfolgung. Dieser Zustand ist nicht länger haltbar. Und er kann auch nicht unter dem Verweis geduldet werden, die Paragrafen seien „nun einmal da“. Denn es ist doch gerade der Auftrag von Politik, nicht das Bestehende zu verwalten, sondern Klauseln im Zweifel dort zu reformieren, justieren und negieren, wo durch Naivität Schaden dem deutschen Volke zugewendet wird.
[…] Die Diskussion um das deutsche Volk: Auch Verfassungsrichter haben die Wahrheit nicht für sich gepa… […]