Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Die Willkür ist am schlimmsten. Warum die Meinungsfreiheit in Deutschland gefährdet ist“ (aus: NZZ vom 19.12.2025)
In Deutschland gehört es zu einer gütigen Praxis der Justiz, Vollzugsinsassen, die schon bald entlassen werden sollten, etwas früher nach Hause zu schicken, damit sie die Festtage außerhalb der Gefängnismauern verbringen können. Eine solch dankenswerte Geste wurde jetzt auch Jan T. zuteil. Seine Geschichte liest sich wie die Darstellung aus einer fremden Welt, jedenfalls nicht wie die aus einem funktionierenden Rechtsstaat. Am 5. August 2019 soll er den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt haben, weil er auf den Seiten einer Onlinezeitung zu einem dort verfassten Beitrag einen Kommentar hinterließ, der verschiedene Zitate aneinanderreihte, welche als Feststellungen und Fakten aus anderen Medien stammten, aber auch aus dem Munde des früheren Entwicklungshilfeministers. Darin ging es einerseits um die Warnung einer riesigen Fluchtbewegung aus Afrika, aber auch um Artikel aus dem Ärzteblatt, von WELT und der „Süddeutschen„, warum Migranten und ihre Kinder anfälliger für Schizophrenie, Wahnhaftigkeit und Drogenkonsum sind, darüber hinaus die Gefahr einer eingeschleppten Tuberkulose steige. Eingepasst in einen Rahmen, sollten die von Fachleuten statistisch gefütterten Sachverhalte plötzlich einen Verstoß gegen die Redefreiheit darstellen.
Dem Vorwurf der Volksverhetzung fehlt es im vorliegenden Fall an gleich mehreren Prämissen…
Denn daraus entnommene Tatsachen fügte der Beklagte nach Ansicht der zuständigen Kammer in einer unzulässigen Weise zu einem neuen Inhalt zusammen, machte sich die Aussagen Dritter „zu eigen“, um ein „Bedrohungsszenario zu inszenieren“, das beim Leser Angstinstinkte vor einer „aufziehenden Apokalypse“ wecken sollte. Die einzelnen Phrasen an sich sind objektiv und nicht widerlegbar. T. hatte nach dem Beginn der Ermittlungen gegen seine Person wiederum Anzeige gegen die Autoren der ursprünglichen Beiträge gestellt, um überprüfen zu lassen, ob diese in der Sache selbst gesetzeswidrig seien. Doch sowohl die Staatsanwaltschaften in München wie auch in Berlin lehnten ein Strafverfahren ab, sahen darin keine Erfüllung der Voraussetzungen von § 130 StGB. Nun kam es also darauf an, ob das Gericht zu der Auffassung gelangt, dass das bloße Bezugnehmen auf diese Quellen, mit dem Ziel, eine eigene, in die Kausalität gebrachte Wertung zu fällen, doch zu einer Verurteilung führen kann. Und tatsächlich haben gleich zwei Instanzen ziemlich skandalträchtig entschieden, am Ende standen sechs Monate bedingte Haftstrafe, weil er „eine emotional gesteigerte feindselige Haltung“ zeige, „den geistigen Nährboden für die Bereitschaft zu Exzessen“ bereite.
Freiheitsstrafe ohne Bewährung, weil objektiv belegte Zitate aneinandergereiht wurden…
Da T. das Urteil nicht annahm, keine Reue aufbrachte und zudem mit einer Geldbuße über das Wochenende in Verzug geriet, wurde im November 2024 die Bewährung widerrufen. In der Nacht vom 6. Juni 2025 suchten ihn sodann mehrere Beamte in seiner Wohnung auf, ließen die Eingangstüre durch einen Schlüsseldienst öffnen. Er wurde verhaftet und in die JVA zugeführt, sollte bis zum 4. Dezember neben Mördern und Vergewaltigen verbringen. Dank der Weihnachtsamnestie hatte man ihn nunmehr einen ganzen Tag eher begnadigt, doch sein Leben ist nicht mehr so, wie es zuvor einmal gewesen war. Das sich selbst als AfD-Delinquent bezeichnende Opfer subjektiver Willkür wollte gegen die beteiligten Richter vorgehen, doch der Oberstaatsanwaltschaft sah keinerlei Anlass für weitergehende Untersuchungen, läge doch schon allein deshalb keine Rechtsbeugung vor, habe sich niemand „bewusst und in schwerwiegender Weise“ von den Paragrafen entfernt. Eine bloße Unvertretbarkeit eines Schiedsspruchs könne keinen geeigneten Maßstab darstellen, um ein etwaiges Fehlverhalten zu attestieren. Beliebigkeit sah man also nicht, obwohl die Begründung von Justitia für das Vorgehen gegen den vermeintlichen Aufrührer augenscheinlich politisch anmutet.
Oberstaatsanwalt nimmt Gericht gegen Vorwurf der Rechtsbeugung in Schutz…
Und so blieb ein für den außenstehenden Beobachter völlig unverhältnismäßiger Entschluss ohne Konsequenz für die Verantwortlichen, aber mit seelischen Narben, Misstrauen und Ernüchterung bei dem Betroffenen. Die Normierung sieht eigentlich vor, dass ein Beschuldigter „eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen dessen Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet“. Doch all das ist nicht geschehen. Denn die Einlassungen, welche T. zu Papier brachte, lassen sich untermauern und belegen. Sein Versäumnis soll es gewesen sein, einen Kontext herzustellen? Die dritte Gewalt in Brandenburg hat sich nicht nur einen Schnitzer geleistet, denn es ging um weit mehr denn eine morgendliche Hausdurchsuchung in Anwesenheit des frisch gebügelten Bademantels. Man warf jenen hinter Gitter, dem vorenthalten wurde, was Karlsruhe einst feststellte: „Art. 5 Abs. 1 und 2 GG erlaubt nicht den staatlichen Zugriff auf die Gesinnung, sondern ermächtigt erst dann zum Eingriff, wenn Meinungsäußerungen die rein geistige Sphäre des Für-richtig-Haltens verlassen und in Rechtsgutverletzungen oder erkennbar in Gefährdungslagen umschlagen“.







