Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Eskalation in Nahost: Israel fliegt weitere Angriffe auf den Iran“ (aus: „tagesschau“ vom 14.06.2025)
Wie viel Außenpolitik steckt in der Innenpolitik – und umgekehrt? Angesichts fast täglich neu aufflammender Konfliktherde auf dem gesamten Globus kommt man kaum noch hinterher, sich über die oftmals komplexen Zusammenhänge der verschiedenen Brandherde einen einigermaßen unabhängigen Eindruck zu verschaffen. Als Journalist fühle ich mich dazu angehalten, nicht bereits mit einer Meinung aufzuwarten, scheint eine Auseinandersetzung noch gar nicht eskaliert zu sein. Kurz nach dem Angriff von Israel auf den Iran sahen sich dennoch zahlreiche Kollegen reflexartig dazu verpflichtet, einer der beiden Parteien zur Seite zu springen, um entweder eine Forderung an die hiesige Regierung zu stellen, sie möge Jerusalem mit allen Kräften unterstützen. Oder sich dazu hinreißen lassen, den angeblich völkerrechtswidrigen Krieg auf das Schärfste zu verurteilen. Einmal abgesehen davon, dass wir als vierte Gewalt nicht in der Position sind, unserem Kanzler und den Ministern Vorschriften zu machen, wie sie sich in einer solchen Situation zu verhalten haben, bleibt ein vorauseilender Gehorsam ganz generell eine ziemlich gutgläubige und fragwürdige Sache.
Denn gerade in solch diffizilen Momenten der Geschichte kann eine überhastete Einseitigkeit schnell dazu beitragen, nur noch in Schwarz-Weiß, in Gut und Böse, in Richtig und Falsch zu argumentieren, um sich mit diesem Schubladendenken einer Befassung mit Hintergründen und Zusammenhängen zu entziehen. Natürlich kann man anführen, auch jetzt werde der Westen erneut von der Drangsal des islamistischen Terrors befreit, prescht Netanjahu vor, weil das Atomprogramm Teherans vermeintlich bereits weit fortgeschritten sei. Doch man sollte als Publizist, der um Objektivität bemüht ist, nicht aus einer falsch verstandenen Tugend und Moral, aber ebenso wenig in der deutschen Staatsräson, sämtliche Behauptungen ohne jede Überprüfung glauben, weil sie aus einem kurzerhand zur sicheren Quelle erhobenen Munde stammen. Man erinnert sich nur allzu genau an eine ähnliche Erzählweise über den Irak. Das Narrativ über Massenvernichtungswaffen als Grundlage für den Einmarsch der USA und ihrer Alliierten erwies sich im Nachhinein als falsch. Und auch an anderen Orten waren es zumindest Halbwahrheiten, die letztlich ein Intervenieren der NATO rechtfertigen sollten.
Wie tragfähig sind also jetzt die vorgebrachten Gründe, welche zwar plausibel erscheinen mögen, weiß man um die Motivation der Mullahs, das „zionistische Regime“ und die Juden als Volk auslöschen zu wollen? Auch in einer Freundschaft sollte die Naivität nicht zu groß sein. Und schon gar nicht dürfen wir uns von den Warnungen leiten lassen, Entwicklungen könnten zu Flüchtlingsströmen nach Europa, Knappheit in der Energieversorgung oder Problemen beim Warenhandel führen. Solche Auswirkungen müssen national und auf unserem Kontinent geregelt werden, betreffen sie ohnehin eine weit über den nun ausgebrochenen Schlagabtausch hinausgehende Schieflage, der auch völlig von der Aktualität losgelöst mit Antworten begegnet werden muss. Fokussiert man den Blick auf die wenigen gesicherten Informationen, die beispielsweise durch Berichte der Inspekteure der IAEA über den persischen Uranbesitz kursieren, so verfügt das Land über rund 409 Kilogramm, mit einem Anreicherungsgrad von 60 Prozent. Um waffenfähig zu werden, müssten 90 Prozent erreicht werden. Zweifelsohne fehlt es an einer Kooperationsbereitschaft von Seiten der Revolutionsführer, was die Behörde wiederholt kritisierte.
Laut Bundesnachrichtendienst aus 2006 bestünde generell das Potenzial für 15 Atombomben. 2023 erklärte die amerikanische CIA hingegen, es gebe keine gesicherten Anhaltspunkte für das Bestreben einer militärischen Nutzung des Nuklearmaterials. Schon allein diese Widersprüchlichkeit macht deutlich, wie leicht sich schlichte Vermutungen instrumentalisieren lassen, um damit bei Bedarf gegen einen Nachbarn vorzugehen, der sicherlich keine hehren Absichten in sich trägt. Aber möglicherweise erheblich weiter vom Überschreiten des Zenits entfernt ist, als uns dies momentan dargestellt wird. Denn die technische Entwicklung scheint auch deshalb kaum fortgeschritten zu sein, erleben wir das klägliche Scheitern, auf die nun erfolgten Bombardements auch nur annähernd mit vergleichbarer Stärke zu reagieren. Könnte es möglicherweise also ein Ablenkungsmanöver von der unterdurchsichtigen Lage im Gazastreifen sein, angesichts derer viele Staatschefs auf Abstand gingen von ihrem Partner im Nahen Osten, bleibt zumindest der Verdacht im Raum, die Vergeltung für den Überfall der Hamas sei mittlerweile in Rache übergeschlagen – und habe jede Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit hinter sich gelassen, wenn über Gebühr die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wird?