Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „‚Autoritär und undemokratisch‘: Ex-Schriftführer verlässt AfD Miesbach“ (aus: „Merkur“ vom 06.12.2025)
Eine mögliche Berufskrankheit, die man als Journalist über viele Jahre hinweg entwickelt, ist nicht zuletzt der Hang zur Naivität. Selbstreflektierend zu bleiben, um stets Objektivität zu bewahren, das ist durchaus eine fortwährende Kraftanstrengung, die man allerdings nicht scheuen sollte, will man beim Publikum weiterhin als unabhängig wahrgenommen werden. Und so bin ich seit geraumer Zeit darum bemüht, meine möglicherweise teils gutgläubige Haltung gegenüber der AfD auf den Prüfstand zu stellen. Denn ich tauge nicht als schlichter Sympathisant, bin lediglich als Privatmensch ihr Wähler. Zwar war es mir allein aus meinem Verständnis der Chancengleichheit ein beständiges Anliegen, sie stets in einem konstruktiven Licht darzustellen. Schließlich hat die Opposition nach meinem Dafürhalten in unserer Herrschaftsform Fairness verdient. Trotzdem war ich weit entfernt von einem Fanboy, dem sämtliche Distanz verloren gegangen ist. Denn mit einer Partei verheiratet zu sein, scheint mir fremd. Sie dient vor allem als Mittel zum Zweck, meinen politischen Willen im weit entfernten Berlin in die Realität umzusetzen. Liebesbeziehungen haben da keinen Platz.
Es ist einer Demokratie fremd, Parteien in den Stand der Verklärung zu erheben…
Nicht erst seit dem Augenblick, als man von anonymer Seite insgesamt mehr als 120 DIN-A4-Seiten an Interna in meine Richtung durchgestochen hatte, befasse ich mich intensiv mit den Abläufen in der Alternative für Deutschland. Schon zuvor war es mir ein recherchierendes Bedürfnis, bestimmte Mechanismen zu verstehen. Dazu gehört letztlich auch, weshalb man mich als Medienvertreter konsequent ignorierte, nahezu sämtliche Kommunikation scheute, auf wohlwollende Beiträge fast nie reagierte. Will man sich diesem Befund theoretisch nähern, so muss man zunächst verstehen, dass es für Alice Weidel und Tino Chrupalla nahezu existenziell ist, ein „Wir gegen die“-Narrativ zu schaffen. Es werden Strukturen gefördert, die Abschottung vorantreiben und Widerspruch als Angriff auf die eigene Identität statt als Teil einer berechtigten Debatte ansehen. Die Polarisierung ist gewollt, auch mit Blick auf Multiplikatoren. Man setzt ausschließlich auf eigene Kanäle, um die Echokammern zu verstärken, vor „der Lügenpresse“ zu schützen. Zweifel und Skepsis werden als Verrat gedeutet, man sieht sich bisweilen selbst als autoritär, repressiv und unsolidarisch.
Dass man sich vor Feinden schützen muss, ist keine Rechtfertigung für Autorität…
Klare Hierarchien und absolute Loyalität lassen Führungspersönlichkeiten zu unfehlbaren Charakteren werden, der Personenkult nimmt sektiererische Züge an. Zwischenzeitlich fühlt sich die Argumentation aus den Reihen des harten Kerns wie eine Verschwörungsmentalität an, wenn man um der Kontrolle willen Sündenböcke präsentiert, Zufälle als Machenschaften interpretiert und Missmut schürt. Gehorsam wird eingefordert, Parallelwelten geschaffen. Da stoße ich in einem Chat nicht nur auf die Behauptung, dass Posten durch Ernennung statt durch Einbeziehung der Basis besetzt, an Stammtischen in alkoholisiertem Zustand über parteieigene Konkurrenten vulgär wie hämisch gespottet und Mitglieder im Vorfeld von Delegiertenversammlungen zu einem vorgegebenen Abstimmungsverhalten per Androhung gedrängt werden. Man diskutiert gleichsam über den Ausschluss sämtlicher Öffentlichkeit von allen Veranstaltungen, erklärt nicht etwa die Regierung, sondern die vierte Gewalt zum Gegner. Wer auf das Paradoxon zwischen Pressefreiheit und Medienkritik hinweist, findet sich auf der Blockiertenliste bei „Whatsapp“ wieder.
Der schwierige Spagat zwischen Reiz und Distanz gegenüber dem etablierten System…
Es hat etwas von kognitiver Dissonanz, die der Gruppendruck aufrechterhält, sich von der Gesellschaft benachteiligt zu fühlen, um nach außen für vermeintliche Ideale einzustehen, die im individuellen oder kollektiven Kontext kurzerhand zur Untugend erklären werden, verschiedene Maßstäbe anzuwenden. Diese Doppelmoral hält letztlich ein äußerst fragiles Gerüst zusammen, welche sozialpsychologisch mit der Unvereinbarkeit von Einstellungen, Überzeugungen und Handlungen definiert ist, sittlich strittige Muster je nach dem zu beurteilen, der sie ausführt. Mit dieser selektiven Exposition, also der Delegitimierung von Prinzipien in Abhängigkeit ihres entsprechenden Trägers, können Widersprüche lange kaschiert bleiben. Doch spätestens dann, nimmt man nicht mehr nur jene Informationen wahr, die in das gemeinschaftliche Meinungsbild passen, steigt das Risiko, mit der Rationalisierung des Opferdaseins oder dem Ablenken auf das Fehlverhalten der Gegenseite an normative Grenzen zu stoßen. Dann tritt Ernüchterung ein, das Erwachen aus der Verklärung, dass die AfD vielleicht gar nicht so alternativ zum Etabliertendasein ist, wie sie sich darstellt.







