Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Holocaust schlimmstes Menschheitsverbrechen? ‚Maße ich mir nicht an zu bewerten‘, sagt Siegmund“ (aus: WELT vom 20.11.2025)
Würde ein Arzt die etablierte Medienlandschaft in Deutschland untersuchen, so müsste er die Diagnose der Dauerempörung stellen. Denn selten in der Geschichte haben wir erlebt, dass sich die vierte Gewalt derart regelmäßig über eine Partei echauffiert, wie es momentan nicht nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk hinsichtlich der AfD tut. Als Journalist wundere ich mich durchaus, welchen Sinn und Zweck ein Interview haben soll, das von Beginn an auf das Heraufbeschwören von Skandalen ausgerichtet ist. Ein klassischer und konkreter Fall ist die jüngste Ausgabe des Podcasts „Berlin Playbook“ von „Politico“. Als Gesprächsgast war der Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, eingeladen worden. Doch mit welcher Voreingenommenheit man ihm begegnete, das war schon beachtlich. Die Konnotation lag von Anfang an auf der Zielsetzung, rechtsextremistische Anrüchigkeit und Nähe zu demaskieren. Und so braucht es eine merkwürdige Verschachtelung der Synapsen, um bizarr anmutende Themen zu konstruieren, als es beispielsweise darum ging, ob er den Holocaust als das schlimmste Menschheitsverbrechen der Geschichte einstufen würde.
Wir können als kurzlebige Wesen stets nur einen Ausschnitt der Geschichte betrachten…
Schnappatmung dürfte bei den Kollegen geherrscht haben, gelangte der Co-Fraktionschef aus dem Magdeburger Parlament zu keiner eindeutigen Aussage. Er wolle sich nicht anmaßen, diesbezüglich eine klare Einschätzung abzugeben, könne er weder die gesamte Dauer der Zivilisation überblicken, noch sie bewerten. Denn wie wir auch beim Klima nur bedingt über den Zeitpunkt des Beginns von Messungen hinausschauen können, lässt sich das Grauen des Hitler-Regimes lediglich in einem Ausschnitt der Historie als Singularität einordnen, an deren bestialischer Einzigartigkeit auch der Havelberger nicht rüttelte. Nein, eine Relativierung des Massenmords an Juden und Minderheiten sieht anders aus. Der Hinweis darauf, dass wir aus sämtlichen Aspekten der Vergangenheit lernen müssten, schmälert die Mahnung und Erinnerung an die bedrückende wie beschämende Ära des Nationalsozialismus in keiner Weise. Doch genauso, wie es zu kurz greift, unsere Identität auf zwölf Jahre Terror zu reduzieren, kann man mit Rationalität nur bedingt befinden, wie unsere Spezies im Vor-Vor-Mittelalter miteinander umgegangen ist. Man sollte nicht in jede Falle tappen, die Publizisten auslegen.
Wer in jeder Silbe Anhaltspunkte für Faschismus erkennt, sollte sich Hilfe suchen…
Siegmunds Reaktion war insofern auch ein bissiger Seitenhieb, ihn mit Fangfragen zu einer umstrittenen Einlassung drängen zu wollen. Und er lieferte genügend Material, damit sich die hypermoralische Schickeria „unserer Demokratie“ in Ekstase reden konnte. Wie es um seinen Namen bestellt sei, wenn die Anhänger auf Bürgerdialogen den Schlachtruf „Sieg“ – „Mund“ ausgeben würden, wollte man vom Wirtschaftspsychologen wissen, der sich auch diesbezüglich nicht aus der Fassung bringen ließ. Was hat es noch mit klarem Denken und schlichter Normalität zu tun, in alles und jeden Anrüchigkeit zu interpretieren, Parallelen zu konstruieren, Faschismus zu assoziieren? Der Außenhandelskaufmann kann wenig dafür, aus welchem Elternhaus er stammt – und ob seine Initialen dafür taugen mögen, ihn auf Partys anzufeuern. Absurder konnte es eigentlich kaum werden, doch ohne einen Schwenk auf seine Teilnahme am sogenannten Geheimtreffen nahe Potsdam wollte man ihn trotzdem nicht ziehen lassen. Dass es dort um Remigration ging, aber eben nicht um die Deportation von hiesigen Staatsbürgern, darauf hinzuweisen, ist mittlerweile müßig – aber offenbar nötig.
Das Manöver, die inhaltliche Debatte zu schmähen, wurde glücklicherweise durchbrochen…
Und so bleibt am Ende der fade Beigeschmack, dass sich meine Zunft erneut in einem äußerst schlechten Licht gezeigt hat, als sie die berufsethisch zu verurteilende Sensationsberichterstattung erzwingen wollte. Glücklicherweise ließ sich ein äußerst souveräner, rhetorisch brillanter und routiniert erfahrener Familienvater auf dieses Manöver nicht ein. Mit Bravour kanzelte er jene ab, die es auf Teufel komm raus beabsichtigt hatten, ihn aufs Glatteis zu führen. Sie sind dabei kläglich gescheitert, konnte der als nächster Ministerpräsident gehandelte „Posterboy“ gleichzeitig bei „NiUS“ offenherzig seine Programmatik und Vision kundtun. Dort untermauerte er nochmals den Anspruch, aus dem Medienstaatsvertrag auszutreten, Abschiebungen rechtsstaatlich erleichtern zu wollen, die Alleinregierung anzustreben, den Haushalt zu konsolidieren, Sparmaßnahmen einzuleiten und das Bürgergeld ideologisch zu entkernen. Endlich gestand man ihm jene Fairness zu, die er selbst erbat, aber nur selten erfährt. Und genau dieser Umstand ist ein Armutszeugnis für unsere Branche, die es verlernt hat, nicht ständig auf die Fieberkurve zu setzen.







