Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „Jubiläum der Süddeutschen Zeitung: ‚Aber objektiv könnten Sie doch wenigstens sein'“ (aus: SZ vom 03.10.2025)
Nach meinem journalistischen Verständnis gefragt, gebe ich oft die Auskunft, dass ich ein Transporteur von Informationen, ein Einsortierer von Themen, ein Strukturierer von Schlagzeilen und ein Untertitler von Geschehnissen bin, der im größtmöglichen Anspruch an Objektivität von der Metaebene aus die Ereignisse in der Welt betrachtet, in eine Reihenfolge bringt, beurteilt und zur endgültigen Erkenntnisfindung an Zuschauer und Leser weitergibt. Fremd hingegen ist mir das Belehren, das Erziehen oder das Erwarten. Ich kann nicht mit dem Gedanken ans Werk gehen, dass der Konsument Nachrichten und Vorgänge am Ende genauso sieht wie ich. Ich soll ihn lediglich in die Lage versetzen, zu einer eigenen Perspektive zu gelangen. Mit diesem Grundsatz scheine ich mich deutlich vom Kollegen Leonhard Dobusch zu unterscheiden, der jüngst bei „Übermedien“ darüber philosophierte, dass ein wertfreies Publizieren ein Mythos sei. Tatsächlich hat er diesbezüglich nur für einen ganz ausgewählten Fall recht, nämlich für das Genre des Meinungsbeitrags.
Als die Publizistischen Grundsätze über Bord fielen, drehte sich Franz von Sales im Grabe…
Berufsethische Leitlinien sehen vor, dass sich dieser stets kennzeichnend von der bloßen Berichterstattung abheben muss. Subjektive Nuancen haben in der Anmoderation oder im Sachtext weiterhin nichts zu suchen. Lediglich im abgesteckten Rahmen sind wir dazu befugt, die eingeforderte „Haltung“ zu zeigen, indem wir uns beispielsweise auf eine Seite schlagen, uns mit einer Sache oder Person solidarisieren und einen bestimmten Weg als richtig oder falsch titulieren. Was hingegen ein Affront gegen die Tugend der Zunft darstellt, bewies unlängst Dunja Hayali, als sie im „heute journal“ ihre persönliche Aversion gegen den getöteten Charlie Kirk kundtat. Nicht etwa in einem erkennbaren Kommentar, sondern völlig ohne Hinweis, entschied sich die ZDF-Frontfrau dazu, Grenzen zu übertreten und die Integrität unserer Branche in den Schmutz zu ziehen. Die polarisierte Stimmung im Land kann nicht als Deckmantel und Verteidigung dienen, individuelles Befinden in die Kameras zu posaunen, um sich pseudomäßig und heroisch mit dem angeblich „Guten“ gemein zu machen.
Neutralität ist menschlich unmöglich, Objektivität hingegen eine erreichbare Tugend!
Schon „Tagesthemen“-Anchor Hanns Joachim Friedrichs verachtete diese Form der Kumpanei mit vermeintlichen Idealen, ist sein diesbezügliches Zitat bis heute in vielerlei Ohr. Wer sich für eine bestimmte Sache einsetzen will, gehört in den Aktivismus. Unsere Aufgabe liegt hingegen darin, zu jedem Moment ergebnisoffen zu bleiben. Dies gilt auch dann, wenn wir eine höchst eigene Betrachtungsweise geäußert haben. Ein Schreiberling muss ich stets bewusst sein, dass sein Standpunkt nur einer von vielen ist. Er stellt ein Angebot dar, den das Gegenüber übernehmen kann, aber nicht muss. Die Auseinandersetzung mit einem Thema und das Evaluieren der Hintergründe findet abschließend nicht auf dem, sondern vor dem Bildschirm statt. Es gebietet der Respekt vor Art. 5 GG, sich weder das Privileg herauszunehmen, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, noch in Hybris zu verfallen, einer privaten Sicht der Dinge Exklusivität beizumessen. Die vierte Gewalt hat viel Macht, aber umso mehr Verantwortung, den Souverän als unantastbar zu schätzen.
Wir Journalisten sind nicht die Besserwisser der Nation, sondern lediglich ein Dolmetscher…
Demut und Bescheidenheit sollten uns leiten und prägen. Die Versuchung und der Reiz, dem Zeitgeist Vorschub zu leisten, darf nicht dazu verleiten, ihn auf der Mattscheibe zu ehren und zu würdigen. Stattdessen sollten wir uns immer in der Rolle der Opposition wiederfinden, als Kritiker, Skeptiker und Zweifler – vor allem gegenüber den Herrschenden und Mächtigen. Natürlich ist es nicht verboten, uns eine gewisse politische und ideologische Färbung anzusehen. Denn auch wir sind nur Menschen, die sich nicht gänzlich lösen können von einer speziellen Denkart. Doch Dogmatik gehört in die Kirche, der erhobene Zeigefinger den Grünen. Wer im Namen der Regierung propagieren will, sollte Ministeriumssprecher werden. Wer sich mit seiner Begeisterung über gemeinschaftlichen Tätigkeitsdrang nicht zurückhalten kann, möge einer NGO beitreten. Aber bitte verschone man das mediale Parkett mit einem apodiktischen Trampeln, dass das letzte Geschirr an Vertrauen auch deshalb zerbricht, weil der Anwurf der Lügenpresse heutzutage leider keine Verleumdung mehr ist.