Kommentar von Dennis Riehle zum Artikel „US-Vizepräsident Vance: Europa muss Hauptteil der Sicherheitsgarantien für die Ukraine tragen“ (aus: Deutschlandfunk vom 21.08.2025)
Als Nutznießer kann man sich das Leben leicht machen, weiß man sich in der komfortablen Situation eines diktierenden Übervaters, der Dekaden nach Ende des Dritten Reiches noch immer die Abhängigkeit eines fragilen europäischen Gefüges für sich zu verwenden weiß. Und so profitieren die USA von einer bis ins Extrem getriebenen Untertänigkeit ihrer Schützlinge, die nicht zuletzt Deutschland dazu veranlasst, mit Blick auf die Ukraine das letzte Hemd zu geben. Der amerikanische Vizepräsident Vance verweist aktuell darauf, dass im Falle eines Friedens die militärische Hauptlast zur Sicherung des Waffenstillstandes in den Händen von Nationen diesseits des Atlantiks liegt. Man zieht sich dreist aus der Affäre, obwohl man selbst in vielerlei Hinsicht von der Partnerschaft mit Kiew profitiert. Da geht es nicht nur um Rohstoffe, sondern neben wirtschaftlichen Verflechtungen auch um geopolitische Interessen. Und es war nicht zuletzt Washington, das den Putsch vom Maidan maßgeblich unterstützte, welcher als Vorgeschichte für den aktuellen Krieg gilt. Dieser Zusammenhang kann bei einer Gesamtwürdigung der momentanen Entwicklung nicht außer Betracht bleiben, wäre es deutlich zu kurz gegriffen, den Ausgangspunkt des Konflikts ausschließlich auf den Angriff 2022 und einseitige Schuldzuweisungen zu beschränken.
Geopolitische Interessen sichern, aber die Anderen die Drecksarbeit machen lassen…
Denn in diesem Zusammenhang oftmals vergessen, bleibt auch der Grundstein für die Motivation, welche Putin im derzeitigen Feldzug gegen seinen Nachbarn geleitet haben dürfte, in einer tendenziösen und duckmäuserischen Berichterstattung unserer Medien zumeist unerwähnt. 1990 gab Außenminister Hans-Dietrich Genscher mit seinem Amtskollegen Baker eine denkwürdige Pressekonferenz, um gemeinschaftlich in Richtung Moskau zuzusichern: „Wir waren uns einig, dass nicht die Absicht besteht, das NATO-Verteidigungsgebiet auszudehnen nach Osten. Das gilt übrigens nicht nur in Bezug auf die DDR […], sondern das gilt ganz generell“. Dieses Versprechen muss als gebrochen angesehen werden, befindet sich das Bündnis seither massiv in Expansion. Zwar war man anfangs im Weißen Haus zurückhaltend mit einer weiteren Aufnahme von neuen Mitgliedern in die Allianz der vermeintlich Guten, wollte man den Kreml doch ganz ausdrücklich nicht vor den Kopf stoßen. Aber nach dem Fall der Berliner Mauer sowie dem Ende der Sowjetunion war man vermehrt auf die Stärkung der eigenen Hegemonie bedacht und fokussiert, änderte die Perspektive insbesondere unter George H.W. Bush, der eine Wende im Understatement einläutete, um ohne umsichtiges Fingerspitzengefühl zu provozieren.
Vor 30 Jahren forcierten die Republikaner das NATO-Wachstumgsgebaren…
Völlig anders als heute, war es damals die Republikanische Partei, die sich mit einem aggressiven und vehementen Bestreben nach Entfaltung für den Beitritt von Ungarn, Polen und Tschechien aussprach. Angetrieben von den Kongresswahlen 1994, befürwortete die Administration das Vorgehen der sogenannten Viségrad-Gruppe. Kaum von seinem Vorgänger zu unterscheiden, rief auch Clinton die Teilnehmer des ehemaligen Warschauer Pakts 1996 unverhohlen dazu auf, sich nicht zuletzt deshalb der verteidigungspolitischen Zweckehe anzuschließen, weil man andernfalls befürchtete, dass sich ein allzu großes Sicherheitsvakuum inmitten des hiesigen Kontinents etabliert, welches die Vormachtstellung und den Einfluss der Vereinigten Staaten in Frage stellen könnte. Schon damals hatte Russland mit seinem obersten Diplomaten Andrej Kosyrew die Verärgerung über diese massive Potenzierung von Führungsgewalt des globalen Gegenspielers zum Ausdruck gebracht. Es waren nicht zuletzt Bundeskanzler Gerhard Schröder, der französische Präsident Jacques Chirac und US-Senator John McCain, die als weitere Wegbereiter für die Prädominanz des Westens fungierten, um ein Ausufern der Lage heraufzubeschwören, der man heutzutage warm und trocken vom Oval Office aus mit Popcorn und Schadenfreude zusieht.
Die USA waren wesentlicher Treiber beim russlandfeindlichen Maidan-Umsturz…
So kam mit dem Gipfeltreffen 1999 und der Etablierung der Vilnius-Gruppe die Debatte um beabsichtigte Beitritte von Albanien, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Nordmazedonien, Rumänien der Slowakei und Slowenien ein Kurs des Wachstums in Fahrt, um insbesondere mit den baltischen Staaten Sympathisanten für eine Gangart der Suprematie zu gewinnen, die Jelzin, Putin und Medwedew zwangsläufig auf den Plan rufen musste. Die ungenierte Überlegenheitsstrategie, nicht zuletzt koordiniert aus dem Pentagon, trug maßgeblich zu jener Eskalation bei, die 2014 den inneren Zusammenhalt der Ukraine zum Kollaps brachte. Mit dem Sturz von Wiktor Janukowytsch als einem Repräsentanten der Partei der Regionen, die sich unter anderem dafür aussprach, die russophilen Affinitäten im Donbass zu achten, wurde ein brüskierendes Zeichen der gewollten Verschiebung imperialistischer Grenzen gesetzt. Nachfolger Petro Poroschenko fand sich mit seinem Block der Europäischen Solidarität rasch in der Funktion einer Marionette wieder, deren Strippenzieher auch jetzt noch tausende Kilometer entfernt sitzen, um die Puppen für sich tanzen zu lassen, dafür aber kaum Geld und keine Soldaten springen lassen wollen. Es hat schon etwas Schmarotzerhaftes, zu dinieren, aber nicht zu bezahlen.